Liebe Leute!
Am 07.06.01 ging eine Nachricht unter dem Stichwort "Bündnis
90/ Die Grünen Bundestagsfraktion" von Michaele Hustedt über
die grünen Mailinglisten. Thema: "Windenergie und
Naturschutz sind vereinbar".
Wichtig ist erstens festzustellen, das dieses Papier keineswegs
in der Bundestagsfraktion abgestimmt wurde. Es wurde weder in den
entsprechenden Fachgremien wie AG Umwelt und Arbeitskreis Umwelt
diskutiert, noch gab es dazu eine Abstimmung in der Fraktion.
Auch die entsprechenden Fachbüros - bezüglich Naturschutz und
Tourismus also speziell meines - waren weder informiert noch
einbezogen. Dass, obwohl auch auf meine Initiative hin die
Fraktionsveranstaltung zum Thema "Offshore-Windkraftnutzung
und Naturschutz" durchgeführt wurde und ich einen Antrag
auf ein entsprechendes Technikfolgenabschätzungsprojekt angeregt
habe.
Es ist zweitens meines Erachtens nicht nur unlauter sondern auch
politisch wenig hilfreich so lapidar wie in Michaeles Text über
die tatsächlich mit den WKA verbundenen Probleme hinwegzusehen
und zu -schreiben.
Ich beziehe mich da speziell auf die Abschnitte zu Naturschutz,
zu Tourismus und zum Landschaftsbild. Als Ärztin ziehe ich aber
auch die Aussagen zu Diskoeffekt, Schattenwurf, Schallentwicklung
und Infraschall ernsthaft in Zweifel. Dies im übrigen auch aus
kommunalen Erfahrungen und den Argumentationen betroffener Bürgerinnen
und Bürger.
Um es klar zu sagen. Windkraft ist als regenerative Energie ein
Teil des Weges in eine neue Energiezukunft. Das heißt jedoch
nicht, hier plötzlich alle Bedenken beiseite zu schieben und zu
postulieren, dass Windkraft per se gut ist, weil es eine
regenerative Energie ist.
Wir als Grüne haben immer und überall dafür eingestanden, bei
allem, was eine Gesellschaft insbesondere im industriellen
Bereich tut, auch die Folgen solchen Handelns vorausschauend (!)
zu prüfen. Diesen Ansprüchen müssen wir treu bleiben.
Abwiegeln und verharmlosen ist nicht nur unseriös, es ist gefährlich.
Die Auswirkungen von WKA auf Naturschutz und Tourismus wären
sehr ausführlich darzulegen. Ich möchte es hier zunächst bei
dem Hinweis belassen, das es einerseits noch zu wenig fundierte
Untersuchungen gibt, dass es andererseits aber bereits sehr
deutliche Ergebnisse wissenschaftlicher Studien gibt, die ganz
andere Tatsachen aufdecken als sie Michaele darstellt. Sie zeigen
mit erdrückender Deutlichkeit negative Auswirkungen besonders
auf wandernde Vogelarten. Der Widerstand in Tourismusregionen
(Berg-, Hügellandregionen, Küsten) wächst ständig: mitnichten
sehen sie Windkraft als Touristenattraktion an, wie das Michaele
absurder Weise behauptet. Selbst erschlossenes Bauland in schönsten
Lagen kann in Entfernungen bis 2000 m zu bestehenden oder
geplanten WKA kaum noch vermarktet werden.
Bürgerinitiativen "schießen wie Pilze aus dem Boden"
und sie, die Betroffenen, beklagen zu aller erst die
unmittelbaren Auswirkungen wie Dauerlärmstress und nächtliches
Dauerblinken. Diese gesundheitlichen Belastungen sollten wir sehr
ernst nehmen. Es geht bei Lärm, Schall, Schattenwurf und Blinken
um Dauerbelastungen, die nicht nur mal eben ein bisschen das
Wohlbefinden trüben (nach dem Motto: Habt Euch doch nicht so,
ist doch alles halb so schlimm"), sondern um tatsächlich
psychisch und in Folge auch physisch krank machende Faktoren.
Warum wohl protestieren betroffene Bürgerinnen und Bürger so
massiv und dies in zunehmender Tendenz?
Wir sollten uns als Grüne diesen Fragen offen stellen, statt mit
vorgefassten Meinungen gewünschte Ergebnisse pro Windkraft
festschreiben zu wollen. Im Übrigen sollte sich jeder und jede
dabei ehrlich die Frage beantworten, ob man selbst an betroffenen
Orten leben wollen und können würde.
Ich möchte an dieser Stelle zu einer sachlichen - die Argumente
aller Seiten achtenden Diskussion aufrufen. Wir brauchen
erheblich mehr Wissen über WKA, egal ob onshore oder offshore,
als wir zur Zeit haben, bevor wir diese Technologie massenhaft in
die Welt setzen.
Potsdam, 10. Juni 2001
Sylvia Voß