Süddeutsche Zeitung, 30.10.2001, Leserbriefe, Seite 13

Sachbeschädigung an der Natur
Ute Vogt: „Teufel blockiert erneuerbare Energien“ / SZ vom 16. Oktober

Man hat den Eindruck, dass Eurosolar-Präsident Hermann Scheer und Ute Vogt, die Vorsitzende der baden-württembergischen Sozialdemokraten (ebenfalls Eurosolar-Mitglied) in bester Kameradschaft – richtiger: in Komplizenschaft – etliche Giftpfeile auf den christdemokratischen Landesvater in Stuttgart abgeschossen haben. Erwin Teufel will zu Recht – wegen schlechter Erfahrungen – die Genehmigungspraxis bei der Errichtung von Windkraftanlagen verschärfen. Nach Ansicht der beiden SPD-Bundestagsabgeordneten blockiert der Ministerpräsident jedoch die alternative grüne Energiegewinnung aus „ideologischer Verbohrtheit“ und behindert gezielt durch „bürokratische Schikanen“ die Errichtung von Windkraftwerken. Und um das Fass ihrer rot-grünen „ideologischen Verbohrtheit“ voll zu machen, verweisen beide SPD-Politiker auf die Interessen der Wirtschaft und auf die Wünsche der Bürger, über die man sich bewusst hinwegsetze. „Interessen welcher Wirtschaft, Wünsche welcher Bürger“ möchte ich fragen.
Sicher sind es nicht die Interessen der deutschen Wirtschaft insgesamt, es sind bestimmt auch nicht die Wünsche der Strom verbrauchenden Bürger, mit jeder weiteren Windkraftanlage eine weitere Erhöhung des Strompreises hinzunehmen – mit weiterer Belastung der Landschaft, des Fremdenverkehrs, der Immobilienwerte, des psychischen und physischen Wohlbefindens, der privaten und beruflichen Leistungsfähigkeit. So Schwindel erregend hoch die übersubventionierten deutschen Propeller sind, so Schwindel erregend niedrig ist ihre Auslastung (im windschwachen Süden Deutschlands nur durchschnittlich 12 Prozent) wie auch ihre ökologische Effizienz.
Auf Grund der geringen Schadstoffreduzierung und Einsparung fossiler Brennstoffe nennt die nordrhein-westfälische FDP-Landtagsfraktion die Windenergie „ökologisch fragwürdig“, der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sogar „ökologisch unsinnig“. Hinter vorgehaltener Hand wird die windige Fehlentwicklung in Deutschland von vielen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern beanstandet. Alle fragen sich: Wo soll diese Entwicklung enden? Tatsächlich bei den von Hermann Scheer „berechneten“ 166.000 Windkraftanlagen, „nur alle 2,5 Quadratkilometer ein Windmast“, wie er in mehreren Vorträgen von sich gab. Mit dieser Vision macht der rote alternative Nobelpreisträger den grünen Visionär Trittin noch zum Realisten.
Deutschland ist klein, fast nur ein Punkt auf dem Globus, und dicht besiedelt. Der Widerspruch zwischen dem, was unsere Öko-Politiker jeder Couleur wollen, können und nicht schaffen, wird an einer vielsagenden Karikatur deutlich, die ich einmal gesehen habe: eine Windkraftanlage in einem Zimmer. Ungewollt bestätigt der Eurosolar-Präsident mit seiner Vision von 166.000 Windkraftanlagen in Deutschland und 5.000 sich drehenden Propellern in Baden-Württemberg (um „eines Tages ein Drittel des Strombedarfs im Land“ zu decken) das Urteil des Expo-Aufsichtsrats aus dem Jahre 1998: „Die Windkrafttechnik ist nicht mehr bahnbrechend für das 21. Jahrhundert.“
Alle Experten sind sich einig, dass in wenigen Jahren die Brennstoffzelle die Energieversorgung revolutionieren wird. Trotzdem versucht MdB Hermann Scheer, der politische Rammbock der „Wind- und Geldmüller“, mit viel Rückenwind und der „Begründung“, dass das Argument der Landschaftsverschandelung nicht stichhaltig sei, die Windkraft zu einer ökonomischen, ökologischen und logischen Energie hochzureden. Seine Behauptung, bei 5000 Anlagen im Ländle oder zigtausend in ganz Deutschland könnten im Gegenzug viele tausend Hochspannungsmasten wegfallen, ist nichts anderes als „mit Speck nach den Mäusen zu werfen“. Leider merken die das aber erst, wenn sie in der Falle sitzen – wie wir in Niedersachsen, im gelobten Land der Windindustrie, das schon mit sage und schreibe zweitausendachthundert Anlagen bestückt ist. Kein Hochspannungsmast, kein Umspannwerk weniger – das Gegenteil ist der Fall. Die Belastung wird zur Vorbelastung erklärt, damit weitere Wind-„Parks“, neuerdings Wind-„Farmen“ genannt, errichtet werden können. Das ist eine Sachbeschädigung an der Natur plus Körperverletzung.

Jochen Schmidt, Winsen