Anzeiger für Harlingerland (Wittmund/Ostfriesland) 14.02.2004 (S. 10)
Windmüller bringen Gemeinden unter Druck
Wattenrat kritisiert Vorgehensweise

HARLINGERLAND / MG - Offensichtlich ist kaum noch eine Kommune mit ihren Flächennutzungsplänen auf der sicheren Seite. Diese schmerzhafte Erkenntnis wächst in den Rathäusern und sorgt bei den Verwaltungsvertretern für düstere Mienen. Auch wenn nach außen hin fast schon verzweifelt Zuversicht demonstriert wird.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Davon ist Manfred Knake vom Watten-Rat Ost-Friesland fest überzeugt. Denn die Pläne, aber auch die Genehmigungsverfahren für die Turbinen würden von der Windkraft-Lobby systematisch auf Schwachstellen durchleuchtet, um neue Standorte durchzudrücken, macht Knake in einer Mitteilung deutlich. Der streitbare Esenser hatte diesen Vorwurf bereits mehrfach erhoben und sieht sich nun durch ein Seminar-Angebot der Handelskammer Hamburg bestätigt, das im Internet angekündigt wurde (www.windmesse.de). In der Veranstaltung konnten sich Interessierte über "Schlupflöcher und Lücken" informieren lassen. In Ostfriesland werde diese Taktik vor allem in Dornum, aber auch in Wittmund, bereits praktiziert. Wie berichtet, sollen auf Dornumer Gebiet insgesamt 38 neue Turbinen entstehen. Sie wurden von den Betreibern allesamt als Einzelanlagen beantragt und vom Landkreis Aurich auch als solche bewertet.

Die Behörde hatte für die Windräder positive Bauvorbescheide erteilt. Dagegen wiederum hatte die Gemeinde Dornum Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht in Oldenburg geklagt. Unterstützung für den Widerstand kommt nicht nur vom Wattenrat, sondern auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Dieser will die Bauvorbescheide mit einem Eilverfahren kippen, kündigte BUND-Sprecher Uilke van der Meer in dieser Woche an. Im Gegensatz zu den Antragstellern bewerten die Kritiker die Windräder vor allem aufgrund der räumlichen Nähe sowie eines angeblich gemeinsam geplanten Umspannwerks nicht als Einzelanlagen, sondern als Windpark. Dieser müsste nach dem strengeren Bundesimmissionsschutzgesetz bewertet werden. Gerade dies solle durch geschicktes Ausloten der Gesetzeslücken umgangen werden.

Tatsächlich fahren die Betreiber große Geschütze auf. So stehen immense Schadensersatzforderungen im Raum. 22 Millionen Euro machen Antragsteller, deren Mühlen bislang nicht genehmigt wurden, beispielsweise im Brookmerland geltend. Dagegen allerdings regt sich wachsender Widerstand in den betroffenen Orten. In Dornum macht die SPD mobil. Sie hatte vor kurzem zu einem Treffen eingeladen, an dem auch der Vorsitzende der Auricher SPD-Kreistagsfraktion, Erwin Wenzel, teilnahm. Man habe dem Fraktionschef dargestellt, "wie von einem einzelnen Rechtsanwalt systematisch durch Beklagen der Flächennutzungspläne und eine nachfolgend organisierte Antragsschwemme sowie die Androhung von millionenschweren Schadensersatzforderungen einzelnen Gemeinden die Pistole auf die Brust gesetzt wird", schreibt die SPD Dornum. Auch der dortige Verwaltungschef Dieter Erdmann hatte das Vorgehen der Antragsteller beklagt.

Wie groß die Befüchtungen auch andernorts sind, zeigt der "Ratsinfodienst" des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. Die Kommunen sehen sich einem "massiven" Druck der Windlobby ausgesetzt, heißt es dort. Das "Druckszenario" werde durch die Geltendmachung angeblicher Schadensersatzansprüche aufgebaut. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Windkraftbetreiber sogar landesweit abstimmen, heißt es weiter.

Anzeiger für Harlingerland 14.02.2004 (S. 4)
Taktik
VON KLAUS-DIETER HEIMANN
Das deutsche Kammerwesen mit seinem Zwang zur Mitgliedschaft ist geprägt von Recht und Ordnung. Und es wird Lobbyarbeit für die eigene Klientel betrieben und geschwiegen, wenn es um Fragen der Berufsordnung geht. Gegen Verstöße wird hart durchgegriffen, Abmahnen gehört zum Geschäft.

Die Kammerrepräsentanten, ihre Präsidenten und Geschäftsführer, treten stets korrekt und seriös auf, sind über jeden Zweifel und jede politische Hektik erhaben. Gleichzeitig sind die Interessenvertreter mehr oder weniger bestrebt, für ihre Mitglieder gewinnbringend zu wirken. Ein aktuelles Beispiel liefert die Hamburger Handelskammer, die mit dem Seminar" Schlupflöcher und Lücken - Taktiken im Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen" eine "Salamitaktik" empfiehlt und damit vorzügliche Dienstleistung für ihre Zielgruppe betreibt. Das Gesamtinteresse der Windenergiewirtschaft gegenüber dem Staat wird hier ernst genommen. Beifall aus der einen Ecke. Kritiker sagen, die Kammern bemerke man immer dann, wenn es irgendwo einen Empfang gibt, oder aber der Beitragsbescheid ins Haus flattert.

Nun, durch besagtes Seminarangebot haben zumindest die Hamburger außer der Reihe eine Vorlage für das Treffen des Städte- und Gemeindebundes am 24. Februar in Wittmund gegeben. Hier will man der Frage nachgehen, ob es ein landesweit abgestimmtes Vorgehen der Windparkbetreiber (und der Kammern?) gibt. Wenn dem so wäre, müsste aus der Kreisstadt die abgestimmte Antwort der gefoppten Kommunen kommen - und die gerne in Form eines Seminarangebotes möglicher Titel: "Salamitaktik - erkennen und durchkreuzen".

Der genannte Anwalt ist der RA Jann Berghaus aus Aurich, der auch für den WKA-Hersteller Enercon tätig ist. Die korrekte URL des "Salamitaktik"-Seminars der Handelskammer Hamburg ist http://www.windmesse.de/seminare/20040202_recht.html

Anzeiger für Harlingerland 13.02.2004 (S. 3)
Salamitaktik ist gewollt
Großes Wind-Hearing in Wittmund

Der Städte- und Gemeindebund lädt alle betroffenen Gemeinden in die Harlestadt ein.

WITTMUND / MH / AH - Immer mehr Gemeinden in Niedersachsen fühlen sich von Windkraftbetreibern massiv bedrängt. Auch im Harlingerland gibt es Beispiele wie Wittmund oder Dornum. Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund schaltet sich ein und möchte die betroffenen Kommunen beraten. Ein erstes großes Hearing findet am Dienstag, 24. Februar, im Wittmunder Rathaus statt.

Entgegen den Planungen der gewählten Stadt- und Gemeinderäte sollen potentielle Standorte für Windkraftanlagen "freigeschossen" werden, die den planerischen Vorstellungen der Gemeinden nicht entsprechen, meint der Städte- und Gemeindebund. Die vom Gesetzgeber eingeräumte Entscheidungszuständigkeit der Räte über zulässige Standorte soll auf diesem Wege zu Fall gebracht werden, einhergehend mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe. Das erlebt zurzeit die Stadt Wittmund.

Der Städte- und Gemeindebund schließt ein landesweit abgestimmtes Vorgehen der Windkraftbetreiber nicht aus. Der Watten-Rat Ostfriesland sieht sich mit dieser Einschätzung bestätigt. Was bisher in Ostfriesland nur vermutet wurde, beweise die Windenergiebranche auch selbst auf einer Internet-Seite: So sei von der Handelskammer Hamburg ein Seminar mit dem Titel "Schlupflöcher und Lücken - Taktiken im Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen" ausgeschrieben worden. Ein Punkt befasse sich "mit der Wahl des richtigen Genehmigungsverfahrens, Vorbescheid oder Vollgenehmigung? - Aufsplitten des Vorhabens in Einzelanlagen." Die Seminarausschreibung nenne dies ausdrücklich "Salamitaktik", so der WattenRat.

In Ostfriesland werde diese Taktik bereits am Beispiel der Gemeinde Dornum oder der Stadt Wittmund versucht, wo riesige Windparks zur Umgehung der Auflagen aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz von verschiedenen Betreibern als Einzelanlagen beantragt wurden, zum Schaden der Anlieger und der Landschaft, ist der Watten-Rat überzeugt. Der Inhalt des Seminars in Hamburg mache erschreckend deutlich, dass es den Windkraftbetreibern keinesfalls um den immer wieder angeführten "Klimaschutz" gehe, sondern ausschließlich um deren Gewinnerwartung aus dem Erneuerbaren Energiengesetz.

Wittmunds Bürgermeister Karl-Heinz Krüger glaubt, dass die Veranstaltung am 24. März eine große Resonanz finden wird. Er empfehle auch allen Ratsmitgliedern die Teilnahme.

Ostfriesen-Zeitung 12.02.2004
Krüger sieht Trittbrettfahrer
Kosten Bauamt muss wahre Aktenberge bearbeiten
Der Bürgermeister vermutet unter den Antragstellern auch Personen, die berufsmäßig auf Schadenersatz aus sind. Die Verwaltungen seien überfordert. Wittmund / WOM - Fast fünf Meter lang ist die Reihe der Aktenordner, die an der Stirnwand des Sitzungssaals gestapelt sind. In allen geht nur nur um Genehmigungsverfahren für Windkraft.

"Es scheint fast eine Taktik zu sein, die Flächennutzungs- und Bebauungspläne der Gemeinden zu kippen", sagt Bürgermeister Karl-Heinz Krüger mit Hinweis auf die Aktenberge. Er vermutet hinter dem Papierkrieg sogar Personen, die als Trittbrettfahrer berufsmäßig gegen die Planungen angehen, um später Schadenersatzforderungen stellen zu können.

Für Krüger steht fest, dass fast 50 Prozent aller Anträge bei Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen nur ein Ziel haben: das Projekt zu kippen. Dazu kommt, dass die Mitarbeiter angesichts dieser Antragsflut überfordert seien. Nicht von der Hand zu weisen sei auch die Gefahr hoher Kosten durch Gerichtsverfahren und vermeintliche Regressansprüche. Deshalb habe sich der Städte- und Gemeindebund dieses Themas angenommen. Am 24. Februar soll in Wittmund im Rathaus ein Erfahrungsaustausch aller betroffenen Gemeinden stattfinden.

Unabhängig davon hängt nach Ansicht von Krüger die Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung auch davon ab, ob sie sinnvoll gesteuert werden kann. Durch die Bauvorbescheide des Landkreises für 37 Einzelanlagen sei nun aber "erheblicher Wildwuchs zu erwarten". Sogar die drei geplanten Parks könnten noch in Gefahr geraten.

In der ostfriesischen Tagespresse, in deren Berichtsraum gerade die beklagte skrupellose "Salamitaktik" der Windmüller zur Durchsetzung ihrer Geschäftsinteressen zu erheblichem Unmut bei einigen Kommunen führte, war dies noch nicht Gegenstand der Berichterstattung. Immerhin, auch der Bundesverband Windenergie (BWE) distanziert sich von solchen Praktiken, zumindest öffentlich. Und der Anbieter des windigen Salami-Seminars für Windmüller macht auch schon einen verbalen Rückzieher.

taz Nord 12. Febr. 2004
Salami für Windmüller Branchen-Dienstleister wirbt mit Seminar über Schlupflöcher bei Genehmigungen für Windräder Hamburg taz
Die Tagesordnung liest sich so, als würden die Juristen der Hamburger Airbus-Niederlassung die Expertise weitergeben wollen, die sie beim Kampf um die Werkserweiterung in einem Naturschutz- und Obstbaugebiet gewonnen haben: "Wahl des ,richtigen' Genehmigungsverfahrens", "Aufsplittung des Vorhabens in Einzelanlagen (,Salami-Taktik')", "Was tun, wenn der Nachbar klagt oder der Genehmigungsantrag abgelehnt wird?", "Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen". Doch das Seminar in der Handelskammer Hamburg richtete sich mitnichten an wild gewordene Flugzeugbauer, sondern an eine Ökobranche mit Vorzeige-Charakter: die Erbauer von Windkraftanlagen.

"Der Inhalt dieses Seminars macht erschreckend deutlich, dass es den Windkraftbetreibern keinesfalls um den immer wieder angeführten und vorgeschobenen ,Klimaschutz' geht, sondern ausschließlich um ihre Gewinnerwartung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und sie dafür bereit sind, ohne Rücksicht auf die Landschaft oder die Anwohner ihre Ansprüche durchzusetzen", kommentierte der Wattenrat Ostfriesland.

Für Carlo Reeker vom Bundesverband Windenergie (BWE) zeigt das Seminar "deutlich unseren Verwaltungsdschungel in Deutschland". Ein Vorgehen, wie es die Tagesordnung suggeriert, empfiehlt er seinen Mitgliedern nicht. "Wer meint, da irgendwelche Schlupflöcher suchen zu müssen und durch die Hintertür eine Genehmigung einklagen zu können, der tut sich keinen Gefallen", sagt er. Nach den Erfahrungen des BWE sei es für die künftigen Anlagenbetreiber am besten, wenn sie das Genehmigungsverfahren möglichst transparent gestalteten.

Es sei darum gegangen, "ein trockenes Thema so marktschreierisch wie möglich" anzupreisen, räumt Martin Tschierschke vom Branchendienstleister smart dolphin ein. Das Fazit der von seiner Firma organisierten Veranstaltung sei aber gewesen: "Lassen Sie die Salamitaktik sein - das bringt nur Ärger und ist schädlich."

Sich etwa vor einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu drücken, indem man statt eines Windparks lauter Einzelanlagen genehmigen lasse, führe bloß zu Rechtsunsicherheiten. Und möglicherweise auch zum "worst case für Planer: Er steckt seine Energie rein und darf dann nicht bauen." "Gernot Knödler

taz Nord Nr. 7282 vom 12.2.2004, Seite 24, 79 Zeilen (TAZ-Bericht), Gernot Knödler