16.12.2001

Hallo Christian,

heute am 3. Advent finde ich endlich Zeit und Ruhe, Dir über meine letzte Unterrichtsstunde bei den angehenden Krankenschwestern bzw. Krankenpflegern zu berichten. Es war kein theoretischer, sondern praktischer Politikunterricht, mit dem ich mich am letzten Mittwoch bei den Zöglingen des Celler Allgemeinen Krankenhauses verabschiedete. Sacht und leise, wie es sich für einen frühen Acht-Uhr-Unterricht gehört, fing ich an und machte mit Zitaten großer Leute die Schülerinnen und Schüler wach. Ich zitierte Lenin mit den Worten "Gewalt ist die Hebamme bei der Geburt einer neuen Ordnung", ich zitierte Spinoza mit seinem Lehrsatz "Jeder hat so viel Recht, wie er Macht hat", ich zitierte Altkanzler Kohl mit seiner Lebenserfahrung "Es kommt nur drauf an, was hinten rauskommt" und war, wie Du Dir vorstellen kannst, gleich mitten in meinem PACK-DIR-AN-DEN-KOPF-Thema "Windmühlen = Wind-KRAFT-Anlagen".

Aber Cora, die hübsche und gewitzte Schwesternschülerin mit den rot abgestuften Haaren vom Prenzlauer Berg aus Berlin-Mitte, ließ mich zuvor an Walter Ulbricht und seine Prognosen denken. Ich zitierte den Vorsitzenden der ersten deutschen roten Republik - immer dabei an den Unwelt-Minister der ersten deutschen grünen Republik denkend - mit folgenden Sätzen aus dem 1961 erschienenen DDR-Buch "Unsere Welt von morgen": "Als Sozialisten sind wir uns darüber klar, daß im sozialistischen Lager bis 1965 ein Überfluß an Lebensmitteln erreicht werden soll. ... Unter kommunistischen Verhältnissen wird auch die Wohnung in jeder Menge, Größe und Form zur Verfügung stehen. ... Nicht Brasilia, sondern Moskau wird die Stadt sein, zu der in naher Zukunft die Städtebauer aus der ganzen Welt pilgern werden. ... Wenn die politischen Zustände in Westdeutschland überhaupt Aussicht haben, bis 1970 fortzubestehen, könnte man mit Sicherheit voraussagen, ... der westdeutsche Staat wäre dann schon ein reichlich altmodisches Gebilde mit einer vergleichsweise recht ungebildeten Bevölkerung, die keineswegs in der Lage wäre, die neuzeitliche Technik auf allen Gebieten zu meistern." Die Klasse lachte, am lautesten Cora, die späte "Republikflüchtige".

Als ich sagte "Was wollt ihr denn, Genosse Spitzbart hatte doch Recht", war urplötzlich Stille, in die ich dann mit dem Wortschwall hineinplatzte: "PISA, der internationale Vergleichstest der Schüler- und Schulleistungen, hat's doch gerade gezeigt. Beim Lesen, Schreiben und Verstehen landen die Deutschen weltweit auf Platz 21/25, dafür aber deutsche Windmüller mit ihren Öko-Attrappen - dank Trittins grüner Ideotologie - weltweit auf Platz 1." Trittins grüne Unweltkrieger seien die Taliban Deutschlands, wobei ich allerdings nicht so weit ging wie der bayerische Bundestagsabgeordnete Hildebrecht Braun (FDP), der Jürgen Trittin in der Debatte über den Energiebericht als den "Bin Laden" Deutschlands bezeichnete. Auf Grund meines Sicherheitsbedürfnisses - der Politikkurs bestand aus 22 Schwestern - verbiss ich mir die mir auf der Zunge liegende Bemerkung, Trittins Grüninnen wie z. B. den Lehererinnen Altmann und Hustedt sollte die Burka über den Schädel gezogen werden, damit sie jeder Mann als Geisel und Gefangene ihres PISA-Kopfes erkennt. Nein, ich blieb cool und sachlich und erklärte den Spätgeborenen, dass wir Deutsche wieder einmal Opfer unserer eigenen Haus- und Heimideologie geworden seien, dass wir von den Zeitwellen, die wir selbst produzierten, weggespült würden, aber diesmal nicht zur Freude unserer Nachbarn, mit denen wir gemeinsam im europäischen Boot säßen... Ich sagte nur "Siehe Energiebericht" und überzeugte - mit der Hustedtschen Knüppelkritik von "vorgestern" an Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der von Michaele, der grünen Lehrerin und Privatdozentin mit Öko-Aufbaustudium, eine Backpfeife nach der anderen bekam.

"Früher", legte ich nach, "wurden die Ostfriesenwitze in der Heimat von Trittins Staatssekretärin Gila Altmann (B'90/Grüne) nur erzählt, jetzt werden sie tatsächlich in Ostfriesland gemacht bzw. gelebt. Heute sieht die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt und Naturschutz rund um Aurich den Wald vor Stangen nicht." So ist das eben im Leben, sinnierte ich, und dachte an den folgenden Spruch, der mir bereits vor drei Jahren in Dangast am Jadebusen erzählt wurde: Trägt ein Ostfriese einen schwarzen Anzug, weißes Hemd und eine rote Nelke im Knopfloch, dann feiert er 10 Jahre unfallfreies Überleben in Deutschlands größtem Wind-National-Park.

Wenn Du nun, lieber Christian, als "Spätzleschwabe von der Alb" meinst, ich übertreibe wieder mal kräftig, dann irrst Du Dich. In der heutigen BamS (BILD am SONNTAG) ist auf Seite 34 und 35 ein langer Report über Unfälle durch Windkraftanlagen zu lesen. Bei Familie Zilles auf Norderney hat im Mai 2000 ein Rotorteil die 36 Zentimeter dicke Hauswand durchschlagen, schreibt die BamS-Reporterin Silke Sperling. Einige Zeilen darunter vergisst Frau Sperling aber nicht darauf hinzuweisen, dass "durch Windkraft 36000 Jobs" (!) geschaffen worden seien, "fast so viele wie in der Atomindustrie". Im August nannte mir noch Herr Twele vom Berliner BWE-Pressebüro insgesamt 30000 Beschäftigte, davon 5000 direkt und 25000 indirektBeschäftigte. Wie er denn zu diesen Zahlen komme, fragte ich ihn. Lapidare Antwort: Er könne das über die Umsätze der Branche abschätzen. Und wenn sich nach vier kurzen Monaten die Zahl der Jobs in der Windbranche auf 36000 erhöht hat, dann beruht Tweles Berechnung mit Sicherheit wieder auf der Grundlage von Betriebsumsätzen, die ihm nach eigener Aussage gar nicht gemeldet werden. 6000 neue, hoch subventionierte Arbeitsplätze in vier Monaten mehr, das ist gleichsam eine Filmentwicklung in der "Dunkelkammer des BWE-Informationstransfers". Ein Prost auf die Windmacher! Und ein ebenso erfolgreiches Jahr wünscht Dir

Jochen Schmidt