Neue Zürcher Zeitung vom 21.02.2002
Eine neue Gefahr für die Landschaft - Die Tücken der Windenergie
Die Windenergie hat in letzter Zeit eine besondere Stellung erlangt: Weil sie relativ nahe an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit steht, werden besondere Erwartungen an sie geknüpft. Sie hat auch im Programm Energie Schweiz ihren Platz gefunden. Die Einwände gegen die Windenergie kommen in erster Linie von der Seite des Landschaftsschutzes, dessen Lobby in der Schweiz in den letzten Jahren auffallend schwach geworden ist. Der folgende Beitrag will in erster Linie eine Lanze für die Landschaft brechen.

Von Hans Christoph Binswanger (St. Gallen)*
Gemäss einer Verlautbarung des Bundesamtes für Energie (15. 11. 01) soll in der Schweiz die Stromproduktion aus Windenergie bis zum Jahr 2010 bis auf 100 GWh pro Jahr ausgebaut werden. Im Vordergrund steht insbesondere die Reduktion des CO2-Ausstosses zur Realisierung der Klimaschutzziele gemäss Kyoto-Protokoll. Eventuell wird auch daran gedacht, dass sie einen Beitrag zum Ausstieg aus der Atomenergie leisten könnte. Einleitend heisst es, dass «die Nutzung der Windenergie auch in unserem Land substanziell zu einer nachhaltigen Energieversorgung beitragen kann».

Es stellt sich aber die Frage, ob es in der Schweiz überhaupt sinnvoll ist, auf die Karte der Windenergie zu setzen und ihren Ausbau über die bestehenden Anlagen hinaus weiter zu fördern. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Behauptung, die Windenergie könne in der Schweiz einen «substanziellen Beitrag» leisten, und dem effektiven Beitrag, der sich gemäss Verlautbarung nach der Erreichung der Zielmenge im Jahr 2010 ergeben würde. Er wäre nicht mehr als 0,4 Prozent der Stromversorgung der Schweiz. Das ist etwa 0,08 Prozent der Energieversorgung.

Kein Beitrag für die Klimaziele
Geht es um die Erreichung der Klimaschutzziele in der Schweiz, ist aber nicht nur auf die Geringfügigkeit des Beitrags der Windenergie hinzuweisen, sondern auch darauf, dass für die Erfüllung der Verpflichtungen zur Reduktion des CO2- Ausstosses nur die Reduktion der CO2-Menge zählt, die im Inland erzeugt wird. Da die Stromproduktion in der Schweiz vollständig aus Wasserkraft und Atomenergie gewonnen wird, die beide kein CO2 produzieren, würde daher die Windenergie, wenn sie Strom aus der Inlandproduktion ersetzt, überhaupt keinen Beitrag zur Erfüllung der Klimaschutzziele der Schweiz leisten! Er ist nicht nur gering, sondern gleich null.

Viele meinen allerdings, dass die Windenergie immerhin den Ausstieg aus der Atomenergie erleichtere. Aber auch dies ist eine Illusion. Atomenergie ist eine Bandenergie, die im Grundlastbereich eingesetzt wird und 40 Prozent der Stromversorgung ausmacht. Windenergie fällt demgegenüber diskontinuierlich und unvorhersehbar an. Wenn ein Strom aus einer anderen Quelle im Augenblick des Windanfalls hinuntergefahren werden muss, dann ist es nicht die schwer manipulierbare Atomenergie, sondern entweder Importstrom oder Wasserkraft. Im letzteren Fall wird jedoch nur eine erneuerbare Energie durch eine andere ersetzt. Das ist im wörtlichen Sinn ein Schlag ins Wasser! Vielfältige Belastungen

So minim die quantitative Bedeutung der Windenergie ist, so gross ist andererseits die durch sie verursachte Belastung der Umwelt. Diese ist vielfältiger Natur. Für die Anwohner steht der Verlust von Wohnqualität durch Schattenwurf und Lichteffekte der Rotoren sowie durch den Lärm, der trotz technischen Verbesserungen je nach der Windrichtung immer noch bis über 1000 m Entfernung hörbar ist, im Vordergrund. Ein weiterer Schaden ergibt sich durch den Vogelscheueffekt und den Vogelschlag, d. h. die Tötung der Vögel durch die Rotoren; neueste Messungen in Deutschland bestätigen eindeutig diesen Effekt, der bisher vielfach bestritten wurde. Entscheidend ist aber vor allem die Zerstörung der Landschaft. Gemäss der Verlautbarung des Bundesamtes für Energie sollen zwar für die Installation von Windkraftanlagen «nur» Gebiete ausgewählt werden, welche bereits durch «Hochspannungsleitungen, Seilbahnen, Strassen oder intensive landwirtschaftliche Nutzung belastet sind». Die Frage stellt sich aber, wo es in der Schweiz überhaupt noch Gebiete gibt, die nicht in diesem Sinne vorbelastet wären. Es sind nur ganz wenige! Mit dieser scheinbaren Restriktion wird in Wirklichkeit die ganze Schweiz für die Überbauung mit Windkraftanlagen freigegeben! Dabei fällt diese «Vorbelastung» im Verhältnis der Neubelastung der Landschaft durch die Windtürme kaum ins Gewicht. Die modernen Windkraftanlagen sind hoch aufragende Maschinen bis 130 m und mehr Höhe, die den Horizont zerschneiden und mit den sich ständig drehenden Rotoren schon von weitem den Blick auf sich und von der Landschaft abziehen. Diese Belastung hat eine ganz andere Dimension. Zum Vergleich: Die Hochspannungsleitungen haben in der Regel eine Höhe von 30 bis 60 m. Angriffe auf die Landschaft sind geplant

Das Entscheidende ist aber, dass entgegen den Versprechungen gerade auch die wenigen Landschaften, die im Sinne der Verlautbarung überhaupt nicht belastet sind, keineswegs verschont bleiben sollen. Im Gegenteil, in den wertvollsten Landschaften sollen in der nächsten Zeit Windkraftanlagen erstellt werden. So ist z. B. die Errichtung eines Windparks mit bis 130 m hohen Türmen bei St. Croix auf dem Mont des Cerfs im Jura geplant, obwohl dort die Aussicht noch völlig frei und durch keine Kunstbauten verstellt ist. Deshalb hat sich auch die Bevölkerung von St. Croix 1999 in einer Volksabstimmung eindeutig gegen die Planung einer solchen Anlage ausgesprochen. Trotzdem wird der Bau dieser Anlage vom Kanton Waadt und vom Bundesamt für Energie mit erster Priorität weiterverfolgt. Von dort aus sollen sich die Windtürme über den ganzen Jura-Rücken ausbreiten. Das Biosphärenreservat Entlebuch ist eine andere besonders wertvolle Landschaft, in die Windkraftanlagen hineingestellt werden sollen. Sie würden neben dem Mettelimoos, einem der letzten Grossmoore in den Voralpen - es steht unter Bundesschutz -, errichtet werden. Die Stille und Schönheit dieser Landschaft würde durch die Windkraftanlagen und einen grossen Parkplatz, der daneben gebaut werden soll, völlig zerstört werden. - Ähnliche Probleme stellen sich in den Alpen, wo bereits mehrere Windkraftanlagen vorgesehen sind. Offensichtlich soll die Schweiz ein Pionierland für Windenergie in den Bergen werden. Dies würde den Erholungswert der Alpen empfindlich beeinträchtigen!

Kleine Windkraftanlagen könnten sinnvoll sein, wenn die Windenergie nicht nur dezentral erzeugt, sondern dezentral an Ort und Stelle konsumiert und so zur Hauptsache der Selbstversorgung z. B. von Bauernhöfen dienen würde. Dies wäre ein gewisser Ausgleich für die Umweltbelastung, die auch bei kleineren Anlagen nicht vermieden werden kann. Eine solche Selbstversorgung ist aber nirgends vorgesehen. Alle Anlagen speisen den ganzen Strom ins allgemeine Netz. Unter diesen Umständen gilt auch für die kleinen Anlagen: Die Umweltbelastung steht in keinem Verhältnis zur minimalen Leistung. Windkraft würde Wasserkraft ersetzen

Generell gilt, dass die Windenergie im Bereich der erneuerbaren Energien wegen ihres sporadischen Anfalls - der Wind weht, wann und wo er will! - die geringste Stromqualität hat und wegen der grossen Raumbeanspruchung der Windkraftanlagen die grösste Umweltbelastung darstellt. In der Schweiz ist darüber hinaus die Problematik besonders ausgeprägt. Während in Küstengebieten die Kapazität der Windkraftanlagen immerhin zu etwa 25 Prozent genutzt werden kann, beträgt in der Schweiz die Produktion im Durchschnitt nur etwa 12 bis 15 Prozent der bereitgestellten Kapazität. Die Windenergie ist daher in der Schweiz auch fast doppelt so teuer wie die Windenergie, die an den Küsten gewonnen wird. Umgekehrt ist wegen der dichten Besiedlung und der Exposition der Windkraftanlagen auf den Hügeln und Berghöhen, die in der Schweiz als Standort für Windkraftanlagen in Frage kommen, die Umweltbelastung besonders gross.

Die Schweiz ist ein Wasserland und kein Windland!
Bei der Förderung erneuerbarer Energien muss daher in unserem Land die - ökologiegerechte - Erweiterung der Kapazität der Wasserkraftwerke im Vordergrund stehen. Zusätzlich kann die Photovoltaik einen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung leisten, wenn dazu die Dächer der Häuser und andere Bauten, z. B. Lärmschutzwälle, genutzt werden. Langfristig wird die Geothermie, d. h. die Gewinnung von Energie aus der Erde, eine entscheidende Rolle spielen, denn sie ist praktisch unerschöpflich, liefert Bandenergie und kann umweltfreundlich gewonnen werden. Heute geht es aber in erster Linie um die Einsparung von Energie bzw. die Erhöhung der Energieeffizienz. Dazu gehören auch die Wärme-Kraft-Anlagen. Durch die Einsparungen kann mit wesentlich weniger Kosten ein unvergleichlich viel grösserer Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung geleistet werden als durch die Förderung der Windenergie.

Grundsätzliche Abwägung ist nötig
Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass es in der Schweiz nicht darum gehen kann, erst am einzelnen Standort eine Abwägung zwischen dem Beitrag der Windenergie zur nachhaltigen Energieversorgung und der durch sie verursachten Umweltbelastung vorzunehmen. Diese Abwägung kann und muss grundsätzlich erfolgen. Sie führt uns zum Schluss, dass die Windenergie keinen echten Beitrag zu den Zielen leistet, die erreicht werden sollen, aber die Umwelt, insbesondere die Landschaft empfindlich und umfassend schädigt. Sie kann daher keinen legitimen Platz in einer nachhaltigen Energiepolitik in unserem Land beanspruchen.
* Der Autor ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität St. Gallen.