Verwaltungsgericht
Oldenburg
4. Kammer, Az.: 4 B 1807/98
Beschluß
in der Verwaltungsrechtssache des Landwirts ..., Antragsteller
Prozeßbevollmächtigter: ...
gegen den Landkreis ... vertreten durch den Oberkreisdirektor
..., Antragsgegner:... beigeladen: ... Prozeßbevollmächtigte:
...
Streitgegenstand: Nachbarwiderspruch
gegen Baugenehmigung für 2 Windenergieanlagen -Vorläufiger
Rechtsschutz -
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 4. Kammer - am 1. Juli
1998 beschlossen:
Die Vollziehung der dem Beigeladenen durch den Antragsgegner
unter dem 22. und 24. April 1997 erteilten Baugenehmigungen für
die Errichtung und die Inbetriebnahme von zwei Windkraftanlagen
auf dem Flurstück xxx der Flur yyy der Gemarkung zzz wird
ausgesetzt.
Der Beschluß der Kammer vom 13. Mai 1998 wird damit
gegenstandslos.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und der
Beigeladene, dessen außergerichtliche Kosten nicht erstattungsfähig
sind, je zur Hälfte.
Gründe
Der Antragsteller begehrt als Nachbar die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes gegen die Ausnutzung der im Tenor genannten
Baugenehmigungen für zwei Windkraftanlagen mit Nennleistungen
von jeweils 500 kW und Nabenhöhen von 65 m sowie
Rotordurchmesser von 40,3 m (WEA 1 und 2), die in der Nähe von
drei weiteren bereits vorhandenen (WEA 3 und 5) bzw. in
Aufstellung befindlichen (WEA 4) Windenergieanlagen errichtet
werden sollen. Die Abstände der genehmigten Standorte zu dem
Wohngebäude auf dem Grundstück des Antragstellers betragen bei
Zugrundelegung der im eingeholten Lärmschutzgutachten
enthaltenen Übersichtskarte für die WEA 1 etwa 550 m und für
die WEA 2 etwa 530 m.
Das Gericht wertet das Begehren des Antragstellers als Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigungen gem. § 80a Abs.
1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO und geht davon aus, daß nicht
wegen der Vorbereitungen für die Aufstellung der WEA 1 an einem
vom Hofgrundstück des Antragstellers etwa 65 m weiter entfernten
Standort darüber hinaus eine einstweilige Anordnung gem. § 123
Abs. 1 VwGO erstrebt wird. Ein solcher weitergehender Antrag ist
nicht ausdrücklich gestellt worden. Der in der Antragsschrift
unter 2. angeführte Antrag, die Unterbrechung der bereits
begonnenen Arbeiten anzuordnen, bezog sich nach dem Verständnis
des Gerichts auf eine Zwischenentscheidung; diesem hat das
Gericht durch den Beschluß vom 13. Mai 1998 - der durch diese
Entscheidung seine Erledigung findet, was im Tenor lediglich
deklaratorisch festgestellt wird - entsprochen. Für einen den
abweichenden Standort betreffenden Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung dürfte auch kein Rechtsschutzbedürfnis
bestehen, nachdem der Antragsgegner im Laufe des gerichtlichen
Verfahrens gegenüber dem Beigeladenen die Einstellung der
Arbeiten an diesem Standort verfügt hat. Durch die eigenmächtig
begonnene Versetzung der WEA 1 entfällt andererseits nicht das
Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an einer Entscheidung
des Gerichts über die Aussetzung der für den genehmigten
Standort ausgesprochenen Baugenehmigung, denn der Beigeladene
will nach der nicht bestrittenen Erklärung des Antragsgegners
die Anlage an dem genehmigten Standort errichten, sofern ihm für
den abweichenden Standort keine Erlaubnis erteilt wird.
Der so verstandene Antrag ist begründet. Die vom Gericht gem. §
80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Entscheidung
orientiert sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden
Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der
sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und an der
vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen
dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des
erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend. Das
bedeutet im Fall eines baurechtlichen Nachbarwiderspruchs, daß
dem Antrag in der Regel bereits dann zu entsprechen ist, wenn
sich die angefochtene Genehmigung bei überschlägiger
Betrachtung als rechtswidrig darstellt und den Antragsteller in
seinen Rechten verletzt, während umgekehrt die Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht kommt, wenn die
Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes zu
einer rechtlichen Beanstandung erkennbar keinen Anlaß gibt. Die
erstgenannte Fallgestaltung liegt hier vor. Der Antragsteller
wird nämlich durch die dem Beigeladenen erteilten
Baugenehmigungen aller Wahrscheinlichkeit nach in seinen Rechten
verletzt. Diese Rechtsverstöße kann der Antragsteller nach dem
gegenwärtigen Erkenntnisstand der Kammer den Vorhaben noch
wirksam entgegensetzen, da ihm die Baugenehmigungen nicht
bekanntgegeben wurden und er von den Bauvorhaben nach seiner
Darstellung erst kurz vor Erhebung des Widerspruchs in der 13.
Kalenderwoche des laufenden Jahres Kenntnis erlangt hat. Die
gegenteilige Vermutung des Beigeladenen wird durch keine faßbaren
Anhaltspunkte gestützt. Umstände, die eine Verwirkung
nachbarrechtlicher Abwehrrechte begründet haben könnten, sind
nicht ersichtlich. Der Widerspruch des Antragstellers gegen die
Genehmigungen ist im übrigen beim Antragsgegner am 6. April 1998
und damit innerhalb der Frist erhoben worden, in der er selbst
bei Eröffnung der Baugenehmigungen an ihn (ohne oder mit
fehlender Rechtsbehelfsbelehrung) gem. § 58 Abs. 2 VwGO zulässig
wäre.
Die angegriffenen Baugenehmigungen verstoßen aller Voraussicht
nach gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme,
das im Außenbereich zu den öffentlichen Belangen i.S.d. § 35
des Baugesetzbuches - BauGB - i.d.F. v. 8. Dezember 1986 (BGBl. I
S. 2253), zuletzt geändert durch Ges. v. 18. August 1997 (BGBl.
I S. 2081), gehört und auf das sich der Antragsteller hier wegen
der nicht auf die unmittelbaren Nachbargrundstücke beschränkten
Auswirkungen der geplanten Anlagen grundsätzlich berufen kann.
Bei Ausnutzung der dem Beigeladenen erteilten Genehmigungen vom
22. und 24. April 1997 würden die Bewohner des Wohnhauses auf
seinem Grundstück mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
"erheblichen Belästigungen" i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22
Abs. 1 Nr. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes - BImSchG -
i.d.F. der Bekanntmachung vom 10 Mai 1990 (BGBl. I S. 880)
zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. April 1997 BGBl. I S. 805,
808), ausgesetzt sein, die zur Unzumutbarkeit der Vorhaben für
den Antragsteller führen. Denn von Windenergieanlagen in der
hier genehmigten Größe und Anzahl gehen wahrscheinlich Beeinträchtigungen
aus, die im Ergebnis ihre Zulassung in dem hier in Rede stehenden
Nahbereich zum Wohngebäude des Antragstellers generell ausschließen.
Das vielfältige Störpotential von Windkraftanlagen hat die
Kammer im Urteil vom 19. Juni 1997 - 4A 1851/95 - ZuR 1998, 40)
wie folgt umschrieben:
"Zu diesen Beeinträchtigungen gehören zunächst G e r ä u
s c h i m m i s s i o n e n. Das Gericht hat sich bei der
Befassung mit einer Vielzahl von Windenergieanlagen im Laufe der
letzten Jahre auch in Ortsterminen davon überzeugen müssen, daß
technische Regelwerke die Beeinträchtigung durch die Geräusche
nicht zutreffend erfassen vermögen. Bei den Anlagen ist regelmäßig
ein dauernd an- und abschwellender Heulton wahrzunehmen, der bei
stärkerer Windgeschwindigkeit lauter wird. Hinzu tritt ein
schlagartiges Geräusch, das entsteht, wenn die Rotorblätter den
Turm passieren. Die Belastung mit einem derartigen Dauerton,
kombiniert mit herausgehobenen Einzeltönen muß als besonders störend
empfunden werden. Sie bindet die Aufmerksamkeit des Hörers, der
sich ihnen nur schwer entziehen kann. Deshalb sind die Geräusche
geeignet, unabhängig von ihrer Lautstärke, die Konzentration
auf anderes oder den Wunsch nach Entspannung nachhaltig zu stören
(ähnlich OVG Münster, Beschluß vom 22.10.1996 - 10 B 2386/96 -
GewArch 1997 S. 126 - BauR 1997, S. 279)."
Hinzu tritt der inzwischen sogenannte S c h a t t e n s c h l a
g, den die Windenergieanlage verursacht und der Wohngebäude im
Nahbereich empfindlich stört. Steht die Sonne nämlich hinter
dem Rotor, dann laufen bei Betrieb bewegte Schatten über die
Grundstücke. Sie verursachen dort je nach Umlaufgeschwindigkeit
des Rotors einen verschieden schnellen Wechsel von Schatten und
Licht. Durch Fenster sind diese Effekte auch in allen Wohnräumen
wahrzunehmen, die der Windenergieanlage zugewandt sind, und zwar
derart, daß diese Schatten durch den ganzen Raum wandern und von
Wänden, Glasscheiben, polierten Holzflächen und dgl.
widergespiegelt werden (so auch OVG Münster, a.a.O).
Gestört werden die Grundstücke im Nahbereich auch durch den
Discoeffekt. Dabei wird Sonnenlicht von den Rotorflügeln als
Blitzlicht reflektiert und auf die Grundstücke geworfen.
Besonders lästig ist daran, daß diese Effekte in allen Wohnräumen
auf spiegelnden Flächen vervielfältigt werden (so auch OVG Münster
a.a.O.).
Ferner ergibt sich die Rücksichtslosigkeit im Nahbereich zur
Wohnbebauung durch die Eigenart der Anlage. Sie zieht durch ihre
Höhe und die Größe des Rotors ständig den Blick auf sich,
zumal wenn sie in Bewegung ist. Das LG Düsseldorf hat die Störungen
durch sich bewegende Objekte zutreffend wie folgt beschrieben
(Urt. v. 5.3.1997 - 2 b O 39/97 - DWW 1997 S. 188):
"Ein sich bewegendes Objekt erregt in erheblich höherem Maße
Aufmerksamkeit als ein statisches. Eine Bewegung wird erst recht
registriert, wenn sie sich nicht direkt in der Blickrichtung des
Betroffenen, sondern seitwärts von dieser befindet. Da das
horizontale Gesichtsfeld beider Augen eines Menschen mindestens
180 Grad beträgt (Trotter: Das Auge, 7. Aufl. 1985, S. 156),
gibt es also in Wohnräumen, die der Anlage zugewandt sind, kaum
Möglichkeiten, sich so zu drehen oder zu wenden, daß sie nicht
wenigstens am Rande des Gesichtsfeldes wahrnehmbar ist. Gerade an
der Peripherie des Gesichtsfeldes ist die Wahrnehmung von
Bewegungen verhältnismäßig besser und vor allem auffälliger
als im Zentrum des Gesichtsfeldes (Trotter S. 149). Die Aufgabe
des peripheren Sehens ist also gerade die Wahrnehmung auch
schwacher Bewegungen oder Veränderungen im Umfeld. ..."
"Es nützt auch nichts, der Anlage den Rücken zuzuwenden,
denn ihr Schatten bewegt sich durch die Wohnräume, ihre
Lichteffekte spiegeln sich auf reflektierenden Flächen. Die
Windenergieanlage bedrängt den Menschen also durch die stete
Bewegung des Rotors, die - wie beschrieben - zwanghaft den Blick
auf sich zieht und der man nicht ausweichen kann. Dies kann
Irritationen hervorrufen; eine Konzentration auf andere Tätigkeiten
wird wegen der steten, kaum vermeidbaren Ablenkung erschwert
(vgl. LG Düsseldorf, a.a.O.). Dem Gericht erscheint es
vorstellbar, daß dadurch auch psychische Erkrankungen
hervorgerufen werden können, wie sie von den Klägern dieses
Verfahrens substantiiert dargelegt wurden. Nicht nur bei hierfür
besonders empfänglichen und empfindlichen Menschen wird die
optische Wirkung der aus der Sicht des Betrachters
"gewaltigen" sich drehenden Rotorblätter durch die von
ihnen ausgehenden Geräuschbelästigungen verstärkt. Durch
dieses Zusammenwirken können die Anlagen zumindest aus näherer
Entfernung und insbesondere bei - hier häufig auftretenden - höheren
Windgeschwindigkeiten, die sowohl zu einer höheren
Umlaufgeschwindigkeit des Rotors als auch zu höheren Lärmwerten
führen, subjektiv in besonderer Weise bedrohlich erscheinen,
auch wenn objektiv eine Gefährdung nicht bestehen mag.
(Allerdings ist bereits über Vorfälle berichtet worden, bei
denen sich Rotorteile gelöst haben und erst in einiger
Entfernung von der Anlage niedergefallen sind). Das Verschließen
der Räume durch Rolläden ist als Gegenmaßnahme unzumutbar, da
es dem Wohnen in geschlossenen Räumen gleichkommt, wodurch
Gesundheitsstörungen, z.B. psychischer Natur, hervorgerufen
werden können (ähnlich auch OVG Münster, a.a.O.).
Nicht zuletzt werden Grundstücke im Nahbereich von
Windenergieanlagen durch sog. Eiswurf gefährdet ..." Die
Kammer hat aus diesen Erwägungen, an denen sie festhält, in dem
genannten Urteil unter Auswertung von Abstandserlassen
verschiedener Bundesländer sowie unter Berücksichtigung von
Entscheidungen anderer Gerichte den Schluß gezogen, daß eine
Windenergieanlage, die nicht den auch im Runderlaß des Nieders.
Innenministeriums vom 11. Juli 1996 - 39.1-32346/8.4 - Anhang 3)
vorgesehenen Mindestabstand von 300 m zu einem einzelnen Wohnhaus
einhält, wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme
unzulässig ist. Das zitierte Urteil bezog sich auf eine einzelne
Windkraftanlage mit einer Gesamthöhe von 53, 5 m (Nabenhöhe 35
m, Rotordurchmesser 37 m) und einer Rotorkreisfläche von 1.075
m2). Werden mehrere sowie größere Anlagen errichtet, so erhöhen
sich die optischen und akustischen Auswirkungen der beschriebenen
Phänomene und damit die Gefahr der Belästigung bis hin zu
(psychischen bzw. psychosomatischen) Gesundheitsbeeinträchtigungen
für Menschen, die sich im Wirkungsbereich der Anlagen aufhalten
müssen, ganz erheblich. Einer solchen Gefahr kann wirksam nur
durch eine Erhöhung der gegenüber einer Wohnbebauung
einzuhaltenden Abstände begegnet werden. Wie groß diese Abstände
sein müssen, hängt von den Umständen des jeweiligen
Einzelfalles ab und kann in diesem auf summarische Prüfung der
Sach- und Rechtslage ausgelegten Eilverfahren nicht abschließend
geklärt werden. Bei erster Würdigung der vorliegenden
Unterlagen und Erklärungen spricht aber überwiegendes dafür,
daß hier Abstände von 530 bzw. 550 m gegenüber dem Wohnhaus
des Antragstellers nicht ausreichen. Für die vorzunehmende
Bewertung kommt es nicht allein auf die akustischen Auswirkungen
der streitigen sowie der in der Nähe bereits errichteten oder in
Aufstellung begriffenen Anlagen an, auf die sich die Ausführungen
der Beteiligten im wesentlichen beziehen. Angesichts der - wie
beschrieben - gerade bei höheren Windgeschwindigkeiten besonders
störend wirkenden Anlagengeräusche erscheint es der Kammer
allerdings ohnehin zweifelhaft, ob sich das Maß des für den
Nachbarn noch Zumutbaren bezüglich der von Windkraftanlagen
ausgehenden Geräusche allein nach Lärmrichtwerten richtet, oder
ob auch die Eigenart der Geräusche wertend zu berücksichtigen
ist. Die akustischen Auswirkungen sind nur ein Element der
Gesamtbetrachtung, die vor allem auch Eigenart der Anlagen sowie
die verschiedenen beschriebenen optischen Wirkungen und ihre möglichen
Folgen einbeziehen muß. Diese werden in ihrer Gesamtheit weder
vom eingeholten Lärmschutzgutachten noch von Einzelerwägungen
der Beteiligten zu anderen Phänomenen erfaßt. Die Auswirkungen
der Anlagen potenzieren sich hier gegenüber dem im zitierten
Urteil entschiedenen Fall nicht nur durch ihre Vielzahl, sondern
auch durch die größeren Abmessungen gerade auch der hier
genehmigten Anlagen. So liegt es auf der Hand, daß höhere
Windkraftanlagen, insbesondere bei größeren Rotordurchmessern
und damit größeren Rotorkreisflächen, nicht nur aus erheblich
weiterer Entfernung deutlich sichtbar sind, sondern auch im
mittleren und im Nahbereich in größerem Umfang als kleine
Anlagen die Blicke der Betrachter auf sich ziehen und
"bedrohlich" wirken. Ebenso ist offensichtlich, daß
sich bei mehreren Anlagen das Störpotential erheblich erhöht,
insbesondere wenn diese Anlagen vom betroffenen Nachbargrundstück
aus gesehen nicht hintereinander, sondern nebeneinander
angeordnet sind. So liegt es auch hier, denn die 5 vorhandenen
oder genehmigten Windkraftanlagen gruppieren sich etwa in einem
Viertelkreis um das Grundstück des Antragstellers, wobei
lediglich die WEA 1 möglicherweise zum Teil durch die WEA 3,
deren genaue Größe allerdings gegenwärtig noch nicht bekannt
ist, überdeckt sein könnte. Aber selbst bei derartigen Überdeckungen
ergibt sich eine Steigerung des Störungspotentials, da die
unterschiedlichen Laufweisen der Rotoren der jeweiligen Anlagen
zusätzlich Unruhe schaffen.
Angesichts der insbesondere von der Größe der jeweiligen Anlage
sowie bei mehreren Anlagen von deren Anzahl und Anordnung abhängigen
Auswirkungen auf die Nachbarschaft hält es die Kammer bei
summarischer Betrachtung für sachgerecht, für die gegenüber
der benachbarten Wohnbebauung einzuhaltenden Abstände auf eben
diese Faktoren abzustellen. Die Kammer ist sich bewußt, daß
sachverständige Äußerungen hierzu - soweit ersichtlich - nicht
vorliegen und die zur Abstandsproblematik ergangenen Erlasse
verschiedener Bundesländer (vgl. hierzu das Urteil vom 19. Juni
1997) eine solch weitgehende Differenzierung nicht treffen. Bei
einer an den Anforderungen des Nachbarschutzes orientierten
Betrachtung kann aber nicht nur der Gebietscharakter eine Rolle
spielen, auf den diese Erlasse im wesentlichen abstellen, sondern
es ist eine auch darüber hinausgehende Betrachtung des
Einzelfalls geboten, die insbesondere an die genannten Faktoren
anknüpfen muß. Eine Koppelung der Mindestabstände unmittelbar
an die Anlagenhöhe (so auch Stüer/Vildumec, Planungsrechtliche
Zulässigkeit von Windenergieanlagen, BauR 1998, 427, 440) ist
dabei nicht nur praktikabel, sondern genügt dem Gedanken der
Einzelfallgerechtigkeit auch mehr als die eher starren Regelungen
der genannten Erlasse als Planungsvorgaben. Nach Stüer/Vildumec
(a.a.O.) sollten die Mindestabstände "nach heutigen
Erkenntnissen ... in der Größenordnung von 5 - 8 x Gesamthöhe
der Anlage liegen". Unter Berücksichtigung der Erfahrung in
anderen, die gleiche Problematik betreffenden Verfahren hält es
die Kammer für sachgerecht, den Mindestabstand von Einzelanlagen
gegenüber Wohngebäuden im Außenbereich zunächst auf das
sechsfache der Gesamthöhe anzusetzen und bei mehreren auf ein
Nachbargrundstück einwirkenden Anlagen Zuschläge unter Berücksichtigung
der Besonderheiten des Einzelfalls zu fordern. Dadurch wird nach
den Erfahrungen der Kammer dem Schutzanspruch der Nachbarn vor
unzumutbaren Belästigungen der oben beschriebenen Art regelmäßig
genügt, wobei - abhängig von den Umständen des Einzelfalles -
auch ein "Schutzpuffer" verbleiben kann. Die Einräumung
eines solchen "Puffers" zugunsten des Nachbarn ist auch
unter Nachbarschutzgesichtspunkten durchaus angebracht, da die
tatsächlichen Auswirkungen einer Windkraftanlage im Planungs-
und Genehmigungsstadium nur schwer abschätzbar sind und im
Einzelfall sowie nach dem jeweiligen Erhaltungszustand auch
variieren können. So kann sich etwa bei älteren Anlagen
aufgrund des Verschleißes von Bestandteilen die Geräuschbelastung
allmählich verstärken.
Ausgehend von diesen Überlegungen wäre für die hier
umstrittenen Anlagen mit ca. 550 m (WEA 1) bzw. ca. 530 m (WEA 2)
der erforderliche Mindestabstand eingehalten, denn er liegt
jeweils unter dem sechsfachen der Gesamthöhe der Anlage, die
sich aus der Nabenhöhe sowie der Hälfte des Rotordurchmessers
errechnet. Sie beträgt hier etwa 85 m, so daß bei isolierter
Betrachtung ein Abstand von nur etwa 510 m zur nächsten
Wohnbebauung zu fordern wäre. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt,
daß das Grundstück des Antragstellers bereits den Einwirkungen
von zwei Anlagen (WEA 3 und 5) ausgesetzt ist, die auch in
Zukunft betrieben werden, daß bei Ausnutzung der streitigen
Erlaubnisse gleich zwei weitere Anlagen hinzutreten sollen und
ferner, daß eine fünfte Anlage (WEA 4) mit noch weitaus größeren
Ausmaßen (Nabenhöhe allein 99,8 m) bereits errichtet wird. Zwar
kann derzeit nicht übersehen werden, ob die WEA 4, die
Gegenstand eines Parallelverfahrens ist, für den Schutzanspruch
des Antragstellers zu berücksichtigen ist. Aber auch unabhängig
von dieser Anlage ist hier voraussichtlich ein Zuschlag auf das
sechsfache der Gesamthöhe als Mindestabstand zu machen, der eine
Genehmigungsfähigkeit hier ausschließt. Mit den
Windenergieanlagen 1, 2, 3 und 5 wäre das Grundstück des
Antragstellers dann zumindest 4 Windenergieanlagen in nur geringfügig
unterschiedlichen Abständen ausgesetzt, die im südöstlichen
bis südwestlichen Bereich vor seinem Grundstück, von diesem aus
gesehen, ähnlich wie ein Viertelkreis gruppiert sind. Diese
Situation rechtfertigt es nach der vorläufigen Einschätzung der
Kammer, für die hinzutretenden Anlagen mindestens die
siebenfache Gesamthöhe (595 m) - möglicherweise aber noch mehr
- als Abstand zu fordern. Ob und inwieweit diese Abstände darüber
hinaus nochmals zu erhöhen sind, wenn festgestellt werden kann,
daß der Antragsteller auch die Auswirkungen der WEA 4 als der größten
der für die Umgebung genehmigten Anlagen hinzunehmen hat, kann
hier ebenfalls dahingestellt bleiben. Die hier offen gelassenen
Feststellungen können erst in einem evtl. Verfahren zur
Hauptsache mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden. Für
den Fall, daß im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen die
Erteilung von Änderungsgenehmigungen für weiter entfernte
Standorte erwogen wird, sei vorsorglich darauf hingewiesen, daß
wegen eventueller Gefährdungen (§ 1 Abs. 1 NBauO) durch
Eiswurf, Umsturz der Anlage oder bei laufendem Betrieb abreißende
Anlagenteile für die WEA 1 wahrscheinlich auch zur Achterhörner
Straße ein weitaus größerer Abstand als 50 m (so die
Genehmigung vom 22. April 1997) einzuhalten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs.
3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden
nicht für erstattungsfähig erklärt, da sie mit ihrer
Rechtsposition unterlegen ist.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluß steht den Beteiligten die Beschwerde zu,
wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg
zugelassen worden ist. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde
ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses
bei dem
Verwaltungsgericht Oldenburg, Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,
zu stellen.
Der Antrag muß den angegriffenen Beschluß bezeichnen. In dem
Antrag sind die Gründe darzulegen, aus denen die Beschwerde
zuzulassen ist (§ 146 Abs. 4 und 5 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO
n.F.). Der Antragsteller muß sich von einem Rechtsanwalt oder
einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule oder einer nach
§ 67 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 VwGO n.F. zur Vertretung berechtigten
Person als Bevollmächtigten vertreten lassen.
Verwaltungsgericht Koblenz verhandelte am 11. Februar 1999 in
Baumholder über Windkraftanlagen- Aktenzeichen: 7 K 1535/98.KO
Die Baugenehmigung
ist rechtswidrig. Dies war die
Kernaussage der Koblenzer Verwaltungsrichter in einer Verhandlung
am 11.02.1999. Dabei ging es um eine Baugenehmigung aus dem Jahre
1996, die der Kreis Birkenfeld zur Errichtung und Betrieb von
zwei Windkraftanlagen erteilt hat. Der Kreis hatte die
Baugenehmigung unter der Auflage erteilt, daß die Anlagen nachts
eine Lautstärke von 45 dB(A) nicht überschreiten dürfen, damit
die Nachbarn nicht in ihrer Nachtruhe gestört werden. Messungen
des Landesumweltamtes in Mainz haben nach Auffassung des Gerichts
eindeutig belegt, daß der Nachtrichtwert nicht eingehalten wird.
Dies wurde auch dadurch untermauert, daß der Anlagenbetreiber
durch mehrere Nachbesserungen versucht hat, den rechtswidrigen
Zustand zu verbessern. Die seinerzeit genehmigte Anlage, so daß
Gericht, sei aber von vornherein nicht in der Lage gewesen, die
notwendigen Werte einzuhalten. Die entsprechende Auflage in der
Baugenehmigung sei darüber hinaus zu unbestimmt gewesen, um
einen ordnungsgemäßen Betrieb ohne Störungen der Nachbarn zu
gewährleisten. Schließlich hat das Gericht grundsätzlich die
Schattenwurf- und Licht-Reflexionsproblematik bei
Windkraftanlagen anerkannt und im vorliegenden Fall eine
umfangreiche Beweisaufnahme durch Sachverständige angekündigt.
Dies gilt auch für die gesundheitlichen Belastungen, die
Nachbarn solcher Anlagen ausgesetzt sind. Das dieses Verfahren
dann doch nach einem Verhandlungsmarathon von vier Stunden zunächst
mit einem Vergleich geendet hat lag allein an prozessualen Gründen.
Der Betreiber der Windkraftanlagen gab am Ende der Sitzung seine
Baugenehmigung zurück und wird eine neue Genehmigung beantragen.
Die Kläger dulden dafür zunächst für ein halbes Jahr den
weiteren Betrieb der Anlagen. Die vom Gericht aufgeworfenen
Fragen werden dann zu klären sein.
Insgesamt sollen noch einmal die wichtigsten Aspekte dieser
Verhandlung festgehalten werden:
1. Eine Baugenehmigung für eine Windkraftanlage muß hinreichend
bestimmt sein. Dies gilt auch für Auflagen zur Baugenehmigung
bezüglich der Einhaltung von Lärmrichtwerten, Schattenschlag
und Disco-Effekt. Allein die Feststellung, daß bestimmte Werte
einzuhalten sind, reichen nicht aus. Die Baugenehmigung ist dann
rechtswidrig.
2. Die gebaute und betriebene Windkraftanlage muß genau der
Baugenehmigung entsprechen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird
z.B. der Nachtrichtwert überschritten, so ist die Baugenehmigung
rechtswidrig.
3. Umgebaute Windkraftanlagen, etwa durch Einbau eines neuen
Generatortyps, neue, modifizierte Rotorblätter oder neue
Software zur Steuerung der Anlage, entsprechen nicht mehr der
ursprünglichen, genehmigten Anlage. Eine neue Baugenehmigung ist
zu beantragen. In der Folge könnten auch Nachbarn, die bislang
keinen oder verspäteten Widerspruch eingelegt haben, wieder
gegen die neue Baugenehmigung vorgehen.
4. Auch Nachbarn, die kein Rechtsmittel gegen die Baugenehmigung
einlegt haben, haben einen Anspruch darauf, daß die in der
Genehmigung festgelegten Werte eingehalten werden.
5. Schattenschlag und Disco-Effekt rücken neben der Lärmbelästigung
bei der Beurteilung von Windkraftanlagen immer weiter in den
Vordergrund. Entsprechende Untersuchungen sollen einen Nachweis
über die tatsächlichen Auswirkungen bei betroffenen Nachbarn
belegen.
Kläger: Karl-Heinz Gisch, Eschelbacher Hof, 55774 Baumholder,
06783 2232, Fax ...3,
Rechtsanwalt: Anwaltskanzlei Rolf Enders und Collegen, Kaiserstr.
101, 53113 Bonn, 0228 9140033, Fax 9140034. e-mail:
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