Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Windkraftanlagen sind Horizontverschmutzer


Zu unseren Grundwerten gehört die Bewahrung der Natur. Sie bildet nicht nur die Grundlage allen Lebens, sondern liefert auch für Kunst und Kultur die Quelle unerschöpflicher Inspiration. Es geht darum, unser Natur- und Kulturerbe zu erhalten. Kulturlandschaften und Denkmale sind unabdingbar Teil derselben Umwelt. Auch wenn die Schönheit eines Denkmals oder einer Landschaft von verschiedenen Menschen verschieden beurteilt wird, sind der Interpretationsmöglichkeit aufgrund der eindeutigen ästhetischen Signale enge Grenzen gesetzt.

Im Zeitalter der Globalisierung können wir es uns nicht leisten, den Schutz unserer Kulturlandschaften, den Denkmalschutz und die Denkmalpflege auf das verbale Bekenntnis am Tage des offenen Denkmals oder auf umweltpolitische Sonntagsreden zu reduzieren. Es ist unvertretbar, dass die Räume gesellschaftlicher Identitätsstiftung als Inbegriffe für Fortschrittsfeindlichkeit und Investitionshemmnis missbraucht werden.

Die Errichtung von bisher über 11.500 Windkraftanlagen - die höchsten sind bis zu 180 Meter hoch - macht unsere leidlich intakten Naturfreiräume zu Industrieflächen und bedroht unsere über Jahrhunderte von zahlreichen Generationen gestaltete Kulturlandschaft. Kirchtürme verschwinden hinter Windrädern. Sichtachsen auf Kulturdenkmale werden zerstört. Windkraftanlagen verfremden die Eigenart ganzer Regionen, verändern deren Silhouette und Horizont durch Bewegungsunruhen und durch natürliche Maßstäbe sprengende Abmessung.

Das ist Horizontverschmutzung. Die Anlagen überformen Landschaftselemente, bisher von Baumkronen und Firstlinien der Ortsbilder geprägt, in unvertretbarem Maß. Immer mehr Kulturlandschaften und Denkmale werden dadurch bis zur Unkenntlichkeit verändert. So dürfen wir nicht mit Natur und Kultur umgehen. Diese kontraproduktive Ökologie verstößt gegen Artikel 20a des Grundgesetzes ? Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen - und gegen das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Der zunehmende Ausbau der Windenergieerzeugung ist ein verheerender Sündenfall.

Der Strom aus regenerativen Energieträgern wird in Deutschland mit mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert. Einiges davon ist vernünftig und sollte weiter gefördert werden.
Aber allein in den ersten fünf Jahren wird den Windenergiebetreibern ein vom Bürger zu bezahlender Zwangsstrompreis von 8,9 Cent garantiert, während die herkömmliche Energie nur 1,5 bis 2,5 Cent kostet. Die zügellose Vermehrung der Windräder dient den finanziellen Interessen von Herstellern und Betreibern. Den nachhaltigen Schaden haben Kultur und Kulturlandschaften und die Menschen in unserem Land. Das alles für drei Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland. Es gibt Bundespolitiker, die diesen Anteil und damit die Zahl der Windkrafträder bis 2030 um das Zehnfache steigern möchten. Es ist höchste Zeit, dass sich unsere Zivilgesellschaft darum kümmert und sich Umwelt- und Kulturpolitik kritisch damit auseinandersetzen.

Aufgrund der zur Zeit geltenden Gesetzeslage sind zunächst auch die Gemeinden gefragt. Sie haben die Rechtsinstrumente, die diese Flut zumindest eindämmen können. Nach § 35 des Baugesetzbuches sind Windkraftanlagen dort nicht "privilegiert", wo die Gemeinden in Flächennutzungsplänen oder die Region durch Regionalplanung Vorrangflächen für Windenergie vorgelegt hat. Mit anderen Worten: Außerhalb dieser Vorranggebiete sind Windkraftanlagen zu untersagen, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt werden können, unter anderem die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Denkmalschutzes, der natürlichen Eigenart der Landschaft und das Orts- und Landschaftsbild. Bestehende Gesetze müssen daher auch "mutig" angewendet werden, um die Versöhnung zwischen unabweisbar wichtigen Anliegen - Klima, Landschafts- und Denkmalschutz - tatsächlich zu erreichen. Bis zu grundlegenden Änderungen, die vor allem durch Streichungen der nicht zu akzeptierenden Subventionen erreicht werden können, ist die regionale und lokale Politik herausgefordert.

Das Geld, das hier zugunsten unserer Kulturlandschaften jedes Jahr neu eingespart werden kann, wäre im Umweltschutz, in Bildung und Forschung, in Kunst und Kultur eine unverzichtbare Zukunftsinvestition. Unser Kulturerbe, besonders in den neuen Bundesländern, könnte vor weiterem Schaden bewahrt und die Bundeskulturstiftung wie die Umweltstiftung ohne zusätzliche Belastung der Allgemeinheit mit dem fehlenden und notwendigen Stiftungskapital ausgestattet werden.

Waldemar Ritter in MONUMENTE 7/8-2002, redaktion@denkmalschutz.de
(Der Bonner Kulturpolitologe, Kulturkritiker und Kurator der Deutschen Stiftung Denkmalschutz,
Dr. Waldemar Ritter, war 25 Jahre für die innerdeutsche Kulturpolitik des Bundes verantwortlich.)


Ritter, Waldemar:
Deutschland - Kulturland in Europa : Betrachtungen über das europäische Kulturerbe / Waldemar Ritter. Deutsche Stiftung Denkmalschutz. - Bonn : Monumente-Kommunikation, 1999. ISBN 3-9804890-6-X

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