Zielarten für die nachhaltige Nutzung der Agrarlandschaft

Ergebnisse eines Seminars vom 24.10. bis 25.10.1998
Das Dilemma des Naturschutzes in der Agrarlandschaft

Zahlreiche heimische Tier- und Pflanzenarten finden ihre ökologische Nische in den unter starkem menschlichen Einfluß stehenden Lebensräumen der Agrarlandschaft. Das Überleben dieser Arten ist aufs Engste mit jenen nutzungsspezifischen Habitatbedingungen verbunden, die durch die landwirtschaftliche Bodennutzung geschaffen, erhalten oder beseitigt werden. Neue Wege der Landbewirtschaftung oder sich verändernde Marktbedingungen für Agrarprodukte beeinflussen die Lebensräume und Lebensgemeinschaften der Agrarlandschaft unmittelbar.

Die heute zu diagnostizierende Gefährdung der Tier- und Pflanzenarten der Äcker, Wiesen und Weiden nahm ihren Ursprung in dem Intensivierungsprozess der Landwirtschaft, der in den fünfziger Jahren einsetzte und bis heute andauert. In dessen Folge verschwanden zahlreiche Landschaftsstrukturen, die für eine Vielzahl Arten der landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft bedeutsame Requisiten darstellen. Dieses sind unter anderem: Nahrung in Form von Pflanzenmaterial und Tieren, Nist- und Brutmöglichkeiten, Aussichts- und Spähwarten, Deckung und Schutz vor Witterungseinflüssen. Für die biologische Vielfalt erwies sich zudem die Konzentration auf einige wenige Feldfrüchte (Weizen, Gerste, Mais, Zuckerrübe) sowie Veränderungen in der Bewirtschaftungsart (z.B. Vorverlegung des Stoppelfeldumbruchs) als verhängnisvoll.

Der Naturschutz klammerte bis vor wenigen Jahren regelmäßig landwirtschaftlich genutzte Ökosysteme weitgehend aus seinen Überlegungen aus oder fokussierte seine Forderungen auf die Reduktion oder den Verzicht des Dünger- und Pestizideinsatzes. Wenn überhaupt faßte der Naturschutz bestenfalls am Rande (z.B. Ackerrandstreifen) oder auf kleinen Trittsteinen (Feldgehölze, Wiesentümpel o.ä.) Fuß. Ziel war es, kleine Flächen zu erhalten, auf denen Pflanzen und Tiere sich vermehren, verbreiten oder auf die sie sich zurückziehen können. Auf Böden geringer Bonität und Grenzertragsstandorten etablierte sich der Naturschutz mehr oder weniger gut, zumal wenn, die im Zuge der Nutzungsextensivierung oder des Vertragsnaturschutzes gezahlten finanziellen Unterstützungen das Überleben der landwirtschaftlichen Betriebe sichern helfen. Auf Böden mit höheren Ackerwertzahlen „beißt sich der Naturschutz hingegen bis heute die Zähne aus", da der Schutz der biotischen Ressourcen von den Landwirten Maßnahmen verlangen würde, die dem unter ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten verständlichen Ziel der Ertragsmaximierung entgegenstehen.

In der Vergangenheit suchte der Naturschutz einzelfallweise mit hoheitlich-verwaltenden Maßnahmen oder durch einen von einer unüberschaubaren Fülle von Einzelfallregelungen bestimmten Vertragsnaturschutz Auswege aus dem Dilemma. Weder das eine noch das andere erwies sich jedoch als erfolgsführend. Einerseits gelingt es nicht, die gefährdeten Arten der Kulturlandschaft in überlebensfähigen Populationen auf besonderen Naturschutzflächen zu erhalten, zum anderen nehmen die Maßnahmen in erheblichem Maße öffentliche Mittel in Anspruch.

Berücksichtigt man ferner, daß die landwirtschaftliche Nutzfläche mehr als die Hälfte der Gesamtfläche der Bundesrepublik ausmacht, so wird deutlich, daß der Naturschutz mit seinen traditionellen Instrumenten des Arten- und Gebietsschutz vor einer schier unlösbaren Aufgabe steht, wenn es nicht gelingt, neue Wegen zu beschreiten, die es ermöglichen, nicht nur den abiotischen, sondern insbesondere auch den biotischen Ressourcenschutz in eine wirtschaftlich erfolgreiche Agrarproduktion zu integrieren. Das erfordert großräumig wirksame Konzepte, die den Schutz der biotischen Ressourcen und der ökologischen Prozesse mit den Nutzungsansprüchen des Menschen in sinnvoller Weise verbinden.

Vonnöten ist ferner ein komplexes System zwischen dem Naturschutz und der Landwirtschaft abgestimmter Vorgaben. Dazu gehören nachvollziehbare und objektive Zielvorgaben und Bewertungskriterien, die den Erfolg oder Mißerfolg der gemeinsamen Maßnahmen meß- und bewertbar machen.

Der Artenschutz tendiert bislang dazu, die Qualität einer Fläche entweder anhand der hohen Artenvielfalt oder am Vorkommen bzw. Nichtvorkommen einer besonderen Art zu messen. Die Erfahrung zeigt, daß beide Kriterien untauglich sind. Artendiversität stellt offenbar kein geeignetes Wertkriterium für einen Lebensraum dar, da der grundlegende Zusammenhang zwischen Artenreichtum und anderen ökologischen Größen, wie z. B. Stabilität, mittlerweile angezweifelt werden muß. Unter populationsökologischen Gesichtspunkten liefert auch der Nachweis oder das Fehlen von Individiuen einer ausgewählten Art auf einer bestimmten Fläche keine wissenschaftlich begründbaren und damit objektiv nachvollziehbaren Ergebnisse.

Während die Landwirtschaft für ihren „Erfolg" in der Agrarlandschaft mit dem ökonomischen Ergebnis z.B. einer Fläche oder eines Betriebs einen einfach meßbaren und allgemein nachvollziehbaren Indikator vorweisen kann, fehlt dem Naturschutz bisher ein vergleichbar überzeugendes System. Dies führt dazu, daß Forderungen des Naturschutzes häufig als unbegründet oder widersprüchlich empfunden werden und daher auf nur geringe Akzeptanz stoßen.

Ein aus tierökologischer und naturschutzfachlicher Sicht geeignetes Bewertungsverfahren scheint die Ausrichtung an Leit- oder Zielarten zu sein. Zielarten im Sinne von management indicator species (WILGROVE 1986, MÜHLENBERG 1989) sind jene Tierarten, deren Populationsstatus und –trend in einem bestimmten Habitat Rückschlüsse auf die Populationen und den Trend anderer Arten erlaubt, die in dem Habitat ebenfalls vorkommen bzw. deren Habitatanforderungen weitgehend mit denen der gesamten Lebensgemeinschaft übereinstimmen und aus denen Hinweise auf die gegenwärtige Habitatqualität sowie Vorhersagen für zukünftige Bedingungen abgeleitet werden können. Abgeleitet aus der "Minimal Viable Population"-Theorie und dem Metapopulationsansatz verfolgt das Konzept der Zielarten das Ziel der Zukunftssicherung der Populationen.

Management indicator species für die Agrarlandschaft – ein Weg aus dem Dilemma?

Wirbeltierarten mit ihren artspezifischen Habitatanforderungen und ihrem komplexen Raum-Zeit-System eignen sich in besonderer Weise zur Indikation intakter Funktionsgefüge und zur Festlegung von Naturschutzzielen für die Agrarlandschaft. Ziel der Veranstaltung war es, am Beispiel der Bestands- und Gefährdungssituation ausgewählter Wirbeltierarten der Agrarlandschaft zu erörtern, welche Arten aus Sicht des Naturschutzes für ein Zielartenspektrum, das typische Aspekte der durch Nutzung geprägten Landschaft reflektiert, in Betracht zu ziehen sind und welche ökologischen, naturschutzfachlichen sowie ökonomischen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung der Zielartenkonzepte zu berücksichtigen sind.

Der erste Teil der Veranstaltung erörterte den gegenwärtigen Populationsstatus und -trend der ausgewählten Arten. Repräsentativ für die nassen bis feuchten Lebensräume des Grünlandes stand die Gruppe der Wiesen- und Weidevögel. In dieser Artengruppe werden Limikolen (Kampfläufer, Bekassine, Kiebitz, Austernfischer, Großer Brachvogel) und Singvögel zusammengefaßt. Bis etwa Ende des 2. Weltkriegs fanden die Wiesenvögel auf den nur extensiv bewirtschafteten Wiesen und Weiden optimale Lebensbedingungen. Die dann einsetzende Intensivierung (Melioration, mechanische Landbearbeitung, Eutrophierung, Weidebetrieb) veränderte ihre Habitatsituation nachteilig, führte aber zunächst nicht bei allen Arten zu Bestandsrückgängen. Heike Köster (NABU-Institut für Wiesen- und Feuchtgebiete, Bergenhusen) stellte heraus, daß sich die einzelnen Arten sowohl hinsichtlich ihrer Habitatanforderungen als auch der Toleranz gegenüber der landbaulichen Nutzungsintensität nicht unerheblich unterscheiden. So seien Bekassine und Rotschenkel typische Vertreter extensiv bewirtschafteter, strukturierter Bereiche, während Uferschnepfe und Kiebitz eher in offenen Lebensräumen zu finden seien. Deutliches Zeichen für den aus Sicht des Artenschutzes mittlerweile katastrophalen Zustand des Grünlandes sei der Kiebitz, der sich aufgrund seiner vergleichsweise hohen ökologischen Potenz länger als die anderen Wiesenvögel im Grünland habe behaupten können. Aktuell stellt die intensive Milchwirtschaft die herausragende Gefährdungsursache für Wiesenvögel dar. Weitere Gefahren sah Heike Köster mittel- bis langfristig aus der vollkommenen Aufgabe der Grünlandwirtschaft, da die Stallmast wirtschaftlich rentabler sei als die Mast im Freiland.

Im Gegensatz zu den Wiesenvögeln, die strukturreiche, aber großräumig offene Lebensräume besiedeln, kennzeichnet eine kleinflächig strukturierte Agrarlandschaft aus Wiesen, Weiden, Feldern, Brachen und Feldgehölzen den Lebensraum von Rebhuhn und Wachtel. Mathias Hermann (ÖkoLog-Freilandforschung, Landau) machte deutlich, daß beide Hühnervögel in ihren Lebensansprüchen hervorragend an die hohe anthropogene Dynamik in landwirtschaftlich genutzten Räumen angepaßt seien. Die Lebensräume des Rebhuhns sind von reichen Grenzlinien- und nicht sehr hohen Saumstrukturen (Hochstauden und Gebüsche, keine Bäume) geprägt. Die Wachtel bevorzugt hingegen Flächen, die nach oben eine gute Deckung bieten, deren Dichte der Bodenvegetation aber reichlich Freiraum zum Laufen läßt. Die für Wachteln bedeutsame kleinstandörtliche Heterogenität bieten Kulturen mit großblättrigen Nutzpflanzen (z.B. Futtererbsen) und insbesondere Stillegungsflächen.

Als häufiger Singvogel der Agrarlandschaft weist die Goldammer eine weite ökologische Amplitude auf. Sie besiedelt fast jeden vorkommenden Heckentyp. Entscheidender Faktor für das langfristige Überleben der Goldammer ist aber weniger das Vorhandensein von Hecken, sondern die Verfügbarkeit der Nahrung zur Zeit der Jungenaufzucht. Die Vögel bevorzugen während der Jungenaufzucht Brachen, Haferäcker und Säume als Nahrungshabitate. Die häufig landschaftsprägenden Wintergetreidefelder oder Maisäcker fallen als Nahrungshabitate vollständig aus. Bestimmendes Kriterium für Nahrungshabitate ist das Auftreten der als Nestlingsnahrung bevorzugten Schwebfliegenlarven. Diese Larven ernähren sich in erster Linie von Blattläusen. Die Goldammern „warten" in Getreidefeldern auf das Auftreten der Syrphidenlarven, die bei der zweiten Brut nach der Milchreife des Getreides auftreten. Die erste Brut wird hingegen aus Syrphidenlarven ernährt, die bereits im Frühjahr auf Brachen zu finden sind. Die Ergebnisse der von Lille durchgeführten Untersuchungen zeigen, daß je mehr die Jungtiere mit Nahrung aus Bracheflächen gefüttert wurden, desto besser wuchsen sie und desto besser war der Bruterfolg. Je kleinflächiger und vielfältiger die Schlaggröße desto geringer war das Risiko des Reproduktionsmißerfolges. Der Schlüssel für den Erfolg der Goldammer liegt in der Vielgestaltigkeit der Standorte (Schlaggestaltung und Fruchtfolge) und den damit verbunden unterschiedlichen Phänologien, resümierte Rolf Lille (FG Agrarökologie, Universität Göttingen) zum Ende seines Beitrags.

Ebenso wie die Goldammer zählt die Feldlerche zu den typischen Singvögeln der Agrarlandschaft. Als Bodenbrüter benötigt die Lerche zum Schutz ihrer Gelege und der Jungtiere eine geringe Bodenbedeckung und Pflanzen mit einer Idealhöhe von 25 Zentimetern. Intensivierungsbedingte Veränderungen in den Lebensräumen, wie kurze Mäh-Rhythmen, mechanische Bodenbearbeitung, Düngung und Pestizide sowie der Verlust von Rainen, haben dazu geführt, daß selbst mehrere Bruten nicht mehr ausreichen, um die Nachkommenschaft zu sichern. Der Bestand der Feldlerche verringerte sich in den letzten Jahren um bis zu 80%.

Kai Thomsen (NABU-Institut für Wiesen- und Feuchtgebiete) berichtete in seinem Beitrag unter anderem von Untersuchungen, die Weibel in der Schweiz zur Situation der Feldlerche durchführte. Die umfassende Feldstudie zeigte, daß die Feldlerche insbesondere Buntbrachen als Brutstätte und Futterplatz schätzt. Diese mindestens drei Meter breiten Ausgleichsflächen belegen nur drei Prozent des Untersuchungsgebietes. Dennoch befanden sich zehn Prozent der im Mai und Juni georteten Nester auf diesen ökologischen Ausgleichsflächen. Feldlerchen, die in ihrem Revier Buntbrache haben, fliegen diese vorzugsweise zur Futtersuche an. In der herbizid- und insektizidfreien Ausgleichsfläche mit dem reichen Bestand an Kräutern findet der Vogel Insekten wie Schnaken, Blattwespen und Schmetterlinge. Die in den Buntbrachen aufwachsenden Vögel wuchsen schneller als ihre Artgenossen in den Vergleichsrevieren. Desweiteren zeigen die bisherigen Befunde der Feldstudie eine Abhängigkeit zwischen der Qualität der Nahrungshabitate und der Reviergröße. In Buntbrachen lag die durchschnittliche Reviergröße bei 1,3 ha, in intensiv genutzten Gebieten wurden hingegen Größen von bis zu 4 ha ermittelt.

Sarah Fuchs (Brodowin) ergänzte die Befunde mit den Ergebnissen eigener Untersuchungen zur Situation von Feldlerchen auf ökologisch bewirtschafteten Flächen. Die im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin durchgeführte Feldstudie zeigte, daß Feldlerchen auf ökologisch bewirtschafteten Flächen nicht zwangsläufig bessere Lebensbedingungen vorfinden. Der ökologische Landbau und der damit verbundene Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmaßnahmen zwingt die Landwirte zu intensiven mechanischen Bewirtschaftungsmaßnahmen (Mahd, Bodenbearbeitung). Dieses hat wiederum Konsequenzen für die bodenbrütenden Feldlerchen. Signifikante Unterschiede zwischen herkömmlich und biologisch bewirtschafteten Flächen mit Feldfutterbau zeigten sich nur dann, wenn die Mahdabstände verlängert wurden und auf Schlegeln und Schwaden verzichtet wurde.

Vertreter der Säugetierfauna in der Agrarlandschaft sind u.a. Feldhase und Feldhamster. Seit Jahren dringen auch Wildschweine, einhergehend mit einer starken Bestandszunahme, verstärkt in landwirtschaftlich intensiv genutzte Lebensräume ein. Karl Kugelschafter (AK Wildbiologie, Universität Gießen) erläuterte, daß Wildschweine, durch verschiedene verhaltensbiologische Anpassungen begünstigt, in erheblichem Maße vom Nutzungswandel in der Landwirtschaft profitieren. Durch die Ausbildung von Traditionen verfügen sie über effektives Raum-Zeit-Management, ihre Reproduktionsstandorte sind gesichert, das breite Nahrungsspektrum erlaubt eine flexible Nahrungswahl und Freßfeinde existieren weitestgehend nicht. Vollkommen anders stellt sich die Situation für Feldhase und Feldhamster dar. Beide Arten sind aufgrund ihrer ökoethologischen Ausstattung den Veränderungen in der Kulturlandschaft hilflos ausgeliefert. Diese Feststellung gilt insbesondere für den Feldhamster, so Anja Weidling (Halle/Saale) und Ulrich Weinhold (Heidelberg). Galten die Feldhamster noch vor Jahren in Landwirtschaftskreisen als robuste Schädlinge, so stellen sie heute die Schlüsselart für den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz dar, denn ihre Optimalhabitate (tiefgründige, schwere Lehm- und Lößböden) finden sie auf den Gunststandorten der ackerbaulichen Nutzung (Zuckerrübe). In den neuen Bundesländern führte die Aufgabe der Mischnutzung (Viehhaltung, Futterbau) nach der Wende zu Veränderungen der Fruchtfolge, die dem Hamster das Leben schwer machen. Drastisch verkürzte Arbeitsintervalle lassen den Feldhamstern zudem keine Zeit zur Vorratsbildung. Die Folge ist eine durch Nahrungsmangel verursachte erhöhte Wintermortalität.

Die Mischung macht’s

Stark vereinfacht lautet das Resümee der Veranstaltung: Alle vorgestellten Feld- und Wiesenbewohner lebten bislang in der Agrarlandschaft nicht trotz der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung, sondern wegen der dort stattfindenden bäuerlichen Landnutzung. Die Lebensräume der artenreichen Agrarfauna entstanden und erhielten sich als Nebenprodukt der extensiven Bodennutzung. Die bäuerliche Kulturlandschaft verfügte bis vor wenigen Jahren über Qualitäten, die heute aber weitgehend verloren gegangen sind!

Es zeigte sich, daß trotz aller artspezifischen Besonderheiten, der großflächige Nutzungs- und Strukturwandel für die Gefährdung der Arten verantwortlich zeichnet. Es zeigte sich aber auch, daß die für Wiesenvögel, Rebhuhn, Wachtel oder Feldhamster wichtige, offene Kulturlandschaft nur erhalten werden kann, wenn dort auch in Zukunft Landwirtschaft betrieben wird. Der Arten- und Biotopschutz ist weder personell noch finanziell in der Lage, die nutzungsspezifischen Lebensräume im erforderlichen Umfang durch Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen zu gewährleisten.

Für Arten wie das Rebhuhn, die Wachtel oder den Feldhasen, die die gesamte landwirtschaftliche Fläche nutzen, reichen kleine, naturnahe Rückzugsflächen oder Randstreifen nicht aus. Nur eine großflächige Extensivierung der Landwirtschaft, die Landschaft in erster Linie nicht als „grünes Gewerbegebiet" betrachtet, sondern die Querschnittsfunktionen der bäuerlichen Kulturlandschaft (Produktion, Schutz der biologischen Vielfalt, Schutz der abiotischen Ressourcen, Erholung usw.) aufnimmt und fortführt, bietet den Arten der Agrarlandschaft den dringend erforderlichen „Über"-Lebensraum.

Der Struktur- und Nutzungswandel wirkt nicht nur lokal und regional, sondern landesweit. Mit Ausnahme des Wildschweins müssen daher alle beschriebenen Arten als überregional gefährdet angesehen werden. Unter Berücksichtigung der von MÜHLENBERG (1989) genannten Kriterien stellen die Arten bzw. Artengruppen deshalb mehrheitlich geeignete Zielarten für den Naturschutz in der Agrarlandschaft dar. Obwohl das Kriterium keystone species, das jene Arten kennzeichnet, deren Verschwinden aufgrund ihrer ökologischen „Schlüsselposition" das Aussterben vieler weiterer Arten nach sich ziehen würde, nicht erfüllt wird, eignen sich die Arten als Indikatoren zur Beschreibung und Bewertung des Zustands der Agrarlandschaft. Die vorhandenen Kenntnisse ermöglichen zudem eine relativ zuverlässige Prognose der Populationsentwicklung für den Fall, daß die Gefährdungsursachen beseitigt werden.

Aufbauend auf dem vorhandenen Kenntnisstand sollten im Zuge weitere Forschungsvorhaben Methoden zur Analyse des Flächenbedarfes, der ein langfristiges Überleben der Zielarten gewährleistet, entwickelt und erprobt werden. Besonders zu berücksichtigen sind dabei Stellgrößen wie die effektive Größe der Schläge, die Abfolge der Fruchtarten, die zeitliche Abfolge der Bewirtschaftungsmaßnahmen sowie der relative Flächenanteil von Säumen, Rainen, Hecken und Brachen, die von herausragender Bedeutung für das Überleben der Lebensgemeinschaften der Agrarlandschaft sind.

Aus Sicht des Arten- und Biotopschutzes sind folgende Aspekte zu beachten:

  • Verbesserung der Strukturdiversität der Agrarlebensräume unter Berücksichtigung der Forderung der Landwirtschaft nach maschinell und effizient bewirtschaftbaren Schlaggrößen
  • Steigerung des Anteils der Grenzliniensysteme unter Vermeidung negativer Rückwirkungen auf die Flächenbewirtschaftung
  • Erhöhung der Fruchtartenvielfalt
  • Einsatz neuer, auf die Belange des Artenschutzes abgestimmter Technologien bei der Flächenbearbeitung (mechanische Bodenbearbeitung,)
  • Möglichkeiten zur stärkeren Differenzierung und zeitlichen Streckung der Bearbeitungssrhythmen
  • Möglichkeiten zum Umbruch und zur Mahd von Stillegungsflächen und erfrorenen Kulturen zum Ende der Vegetationsperiode /Getreideernte
  • Möglichkeiten zur Optimierung und zum standortgemäßen Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln (z.B. GPS-gesteuerter Düngeeinsatz/-verzicht).

Mit Ernüchterung war festzustellen, daß sich zur Zeit weder in den nationalen noch in europäischen Agrarumweltprogrammen Hinweise auf Maßnahmen finden lassen, die die Erhaltung oder Förderung der biotischen Ressourcen zum Ziel haben. Die Reform der EU-Agrarpolitik im Rahmen der Agenda 2000 sollte daher unbedingt auch verstärkt Gesichtspunkte des biotischen Ressourcenschutzes aufgreifen. Dazu gehört auch, daß Landwirte, die bereits heute einen freiwilligen Beitrag zum Erhalt der Landschaft und ihres biologischen Inventars leisten, ihre Leistungen honoriert bekommen. Allgemein sollten Subventionen an Landwirte an die Einhaltung ökologischer Mindeststandards gekoppelt werden. Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang die Einführung eines Ökokontos.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

http://www.nabu-akademie.de/berichte/98target.htm

Weiterführende Links

"Naturschutz in der Agrarlandschaft" - Ergebnisse der Tagung zum Abschluß des BMBF-DBU-Verbundprojektes am Beispiel des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin

"Habitatmodelle – Instrumente zur integrativen Abbildung und Analyse von Lebensraumansprüchen mit direktem Bezug zur Landschaftsstruktur und zur Landnutzung"  von G. Lutze, R. Wieland und A. Schultz, Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung, Institut für Landschaftssystemanalyse, Müncheberg

Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.

Zitatempfehlung: SCHULTE, R. (1999): Zielarten für die nachhaltige Nutzung der Agrarlandschaft - Ergebnisse eines Seminars vom 24.10. bis 25.10.1998. http://www.nabu-akademie.de/berichte/98target.htm [Internet "Funddatum"]