Saisonale Rhythmen und Winterschlaf

Jahresrhythmen oder saisonale Rhythmen zeigen die Anpassung der Tiere an jahreszeitliche Veränderungen der Umwelt. Beispiele für saisonale Rhythmen sind Vogelmauser und Vogelzug oder Veränderungen des Körpergewichts und der Reproduktionsfähigkeit. Bei vielen Tieren ist die Paarungsbereitschaft auf eine bestimmte Jahreszeit beschränkt, so z.B. bei verschiedenen Hamsterarten auf das Frühjahr oder beim Rotwild auf den Herbst. Dadurch ist gewährleistet, daß die Geburt und Aufzucht der Jungtiere in Monate mit milden Temperaturen und ausreichendem Nahrungsangebot fällt. Da die Dauer der Trächtigkeit bei den einzelnen Tierarten unterschiedlich ist, kann das günstige Nahrungsangebot nicht der unmittelbare Auslöser für die Paarungsbereitschaft sein. Vielmehr müssen die Tiere Verhalten und physiologischen Status mit den saisonalen Veränderungen der Umwelt synchronisieren.

Ein wichtiges Umweltsignal für die Steuerung saisonaler Rhythmen ist die Photoperiode, d.h. die Änderung der Tageslichtlänge. Bei vielen Tierarten werden saisonale Rhythmen ausschließlich durch Veränderungen der Tageslichtlänge reguliert. Diese Arten werden als photoperiodisch bezeichnet. So sind Goldhamster bei Haltung unter Langtagbedingungen (d.h. mehr als 12,5 h Licht pro Tag) ständig reproduktiv. Unter Kurztagbedingungen (d.h. weniger als 12 h Licht) sind die Plasmaspiegel der Geschlechtshormone (Östrogen bzw. Testosteron) dagegen sehr gering, und die Gonaden (Ovarien, Testes) nicht funktionsfähig. Andere Tierarten, wie z.B. der Europäische Feldhamster, haben eine endogene circannuale Uhr. Circannuale Rhythmen zeigen unter konstanten Laborbedingungen eine Periodenlänge von ungefähr einem Jahr, unter natürlichen Umweltbedingungen werden sie über den Zeitgeber Photoperiode auf den Jahresgang synchronisiert.

Europäische Feldhamster (Cricetus cricetus) zeigen im Laufe des natürlichen Jahres folgende physiologische Anpassungen: Im Frühjahr und Frühsommer sind die Tiere reproduktiv und haben das höchste Körpergewicht. Im Herbst werden Gonaden und Körpergewicht reduziert als Vorbereitung auf die Winterschlaf-Periode, die im Spätherbst beginnt und bis zum Frühjahr andauert.

Die Steuerung photoperiodischer Phänomene und die Synchronisation circannualer Rhythmen erfolgt über das Zusammenspiel von SCN und Pinealorgan, einer unpaaren dorsalen Ausstülpung des Diencephalon. Tageslicht wird über die Retina wahrgenommen und von dort zum SCN weitergeleitet. Vom SCN ziehen Projektionen zum Pinealorgan und steuern dort den Tagesrhythmus der Melatoninausschüttung. Dauer und Amplitude der nächtlichen Melatoninausschüttung sind abhängig von der jeweiligen Photoperiode und geben dem Organismus Aufschluß über die Tageslichtlänge und somit über die Jahreszeit. Das Pinealorgan ist also eine neuroendokrine Schnittstelle, wo Information über die Photoperiode in ein hormonelles Signal übersetzt wird. Da bislang noch unklar ist, wie das Melatonin die saisonalen Veränderungen der Körperfunktionen steuert, untersuchen wir zur Zeit Korrelationen zwischen saisonalen Veränderungen im Melatoninsignal und anderen physiologischen Parametern. An der Erzeugung circannualer Rhythmen sind weder SCN noch Pinealorgan beteiligt, denn circannuale Rhythmen bleiben auch nach Ausschaltung dieser Gehirnteile erhalten. Die Tatsache, daß die entsprechenden Rhythmen dann eine freilaufende Periode aufweisen, zeigt jedoch, daß SCN und Pinealorgan für die Synchronisation der circannualen Uhr mit dem natürlichen Jahr wichtig sind.

Körpertemperatur von zwei Feldhamstern während einer Winterschlafsaison. Während der Winterschlafschübe sinkt die Körpertemperatur auf Werte von bis zu 4 °C ab. Die dünne Linie zeigt den Verlauf der Bodentemperatur.

Ein weiteres Beispiel für einen saisonalen Rhythmus ist der Winterschlaf oder Torpor, den man bei vielen Kleinsäugern während der kalten Jahreszeit beobachten kann. Winterschlafbereite Tiere sind in der Lage, ihre Körpertemperatur abzusenken und der niedrigen Umgebungstemperatur anzupassen. Dieser Zustand der sogenannten Hypothermie ist durch Inaktivität, reduzierte Erregbarkeit und Stoffwechselreduktion gekennzeichnet. Der Eintritt in den Winterschlaf wird aber keineswegs nur durch ein Absinken der Umgebungstemperatur ausgelöst. Vielmehr durchlaufen die Tiere vor dem Winterschlaf eine Vorbereitungsphase, in der zunächst das Körpergewicht reduziert wird und die Tätigkeit der Reproduktionsorgane eingestellt wird. Diese Umstellung beginnt beim Europäischen Feldhamster bereits im August, sobald die Photoperiode unter einen kritischen Schwellenwert fällt. Die eigentliche Winterschlafperiode beginnt im späten Herbst (Oktober-November), wenn die Gonaden völlig inaktiv sind, und wird im Frühjahr (April) durch die spontane Aktivierung der Geschlechtsorgane beendet. Während der einzelnen Winterschlafschübe kühlen die Tiere in ihrem unterirdischen Bau langsam auf annähernd Umgebungstemperatur ab. Der Winterschlaf ist aber keine permanente Kältestarre, sondern wird im Laufe des Winters mehrmals durch aktive Phasen unterbrochen, in denen die Tiere für mehrere Stunden oder Tage eine normale Körpertemperatur und hohe Stoffwechselraten haben. Unsere Analyse der zeitliche Organisation des Winterschlafs unter semi-natürlichen Freilandbedingungen und unter konstanten Laborbedingungen hat gezeigt, daß der Beginn der einzelnen Winterschlafschübe vom circadianen System kontrolliert wird. Dagegen ist noch unklar, wie das Ende der Winterschlafschübe zeitlich gesteuert wird (Wollnik & Schmidt 1995; Waßmer & Wollnik 1997).

Uni Stuttgart
Nicht-photische Stimuli                                                                  Aktuelle Forschungvorhaben