Dr. Dr. Scheers Wind - damals so heiß wie heute
Von Ralf Grüning


Letzten Sonnabend, das war 1997, drückte ich mir an der Schaufensterscheibe einer Hamburger Buchhandlung die Nase platt. Ein Stapel Bücher lag neben dem anderen. "Was soll ich ihm nur mitbringen?" zermarterte ich mein Gehirn und dachte an meinen alten Onkel Herbert, der sich über jedes Buch freut wie ein Dreijähriger über einen Lutscher. "Nee, das ist nichts", sagte ich mir. "Ja das, das könnte etwas für ihn sein." Kurz entschlossen ging ich hinein, nahm eine freie Verkäuferin ins Visier und machte ihr durch Fingerzeig und Worte verständlich, woran ich dachte. "Zeigen Sie mir doch mal das Buch dort hinten, ja ‚Windkraft: Eine Alternative, die keine ist'." "Sie wollen tatsächlich dieses profaschistische Buch kaufen?" fragte sie mich lächelnd mit besonderer Betonung des "pro" und griff nach einer Zeitschrift, so schnell, dass ich den Namen des Blattes, "NEUE ENER...", nur halb erfassen konnte. Sie durchblätterte in einem rasanten Tempo das Heft, machte plötzlich Halt und zeigte mir die Seite neun. "Da lesen Sie," forderte sie mich auf. Ich las. Tatsächlich. Da lamentierte, schimpfte und drohte ein gewisser Dr. Dr. Hermann Scheer, Eurosolar-Präsident, Mitglied des Deutschen Bundestages, ob der Unverschämtheit des Verlages, ein Buch herauszugeben, das sich kritisch mit der Windenergienutzung in Deutschland auseinandersetzt. Nicht glauben wollend, was ich las, murmelte ich, indem ich mich der Buchhändlerin zuneigte: "Die Kritik des Herrn Scheer ist ja eine halbe Bücherverbrennung." "Fast post-faschistisch", fügte ich hinzu. "Nain", verbesserte sie mich gedehnt, "man könnte auch sagen... neo-faschistisch." Jetzt stand es für mich fest: 14 Mark ist mir das Buch "Windkraft: Eine Alternative, die keine ist" von Prof. Otfried Wolfrum wert. Ich kaufte das Buch, in dem der Politiker Hermann Scheer die Inkarnation des Profaschismus sah. Als Beigabe gab mir die freundliche Buchhändlerin die NEUE ENERGIE mit.

Ich ließ Onkel Herbert Onkel Herbert sein und fuhr direkt nach Hause, um zu lesen. Doch was war spannender? Die dünne Beigabe, die ich umsonst bekam, oder das Buch, das ich mit guter alter deutscher Mark bezahlt hatte?

Dünnbrettbohrer war ich schon in der Schule, deshalb schob ich zunächst das dicke Buch beiseite und machte mich an das dünne Heft des Bundesverbandes WindEnergie heran. "Kreuzzug der Fundis" stand da in großen Lettern auf dem Umschlagblatt. Der Artikel hielt, was er versprach. Es war ein Kreuzzug wider die Ungläubigen, gegen die Windkraftkritiker, gegen die Windkraftgegner. Selbsternannte Naturschützer seien sie, die klimapolitischen Nullnummern, die windigen Handlungsreisenden mit scheinheiligen Argumenten. Alle Journalisten, die die landschaftsschützenden "Don Quichottes" unterstützten, seien luftig-leichte Lohnschreiber. Ein Bauernpräsident assistierte und drosch mit Wortflegeln auf ihm nicht genehme, windkraftkritische Politiker ein: "Wer gegen Windenergie ist, gehört nicht in die Politik." So einfach sahen es Hermann Scheers Freunde vor fünf Jahren, und so sehen sie es heute immer noch.

Ein Redakteur der Neuen Energie erblickte damals in den Worten eines Windrad-Betreibers den "schönsten" Vergleich. "Ja, die Windmaschinen sind Raketen ... ", zitierte er einen martialischen Windmüller genüsslich. Seitdem ist ein halbes Jahrzehnt vergangen, aber ich erinnere mich noch genau: Ich wunderte mich nicht ein bisschen - nach diesen Hasstiraden im Mitteilungsblatt des Bundesverbandes WindEnergie, als der oberste Eurosolar-Anbeter, der Hauptredakteur des Blattes, seine Leserinnen und Leser auf Seite eins "mit stürmischen Grüßen" in die Kriegsberichterstattung seines Stürmers führte...

Zu guter Letzt ein Zitat aus alten, vergangenen (?) Zeiten:

" Auch bei Hamburger Windkraftfreunden stieß die Herausgabe des Buches durch den Verlag Zweitausendeins auf Unverständnis. Aus Protest gegen die Veröffentlichung wurde die Schaufensterscheibe der Verlagsbuchhandlung mit folgendem Spruch verziert: ‚Gemeinsame Sache? 2001 und die Atomlobby?' "(NEUE ENERGIE aus dem Jahre 1997)

29. Januar 2002