DIE ZEIT
Windkraft ohne Schwung

Trotz Erleichterungen im Baurecht ist ein neuer Boom nicht in Sicht
Kolja Rudzio
Die Hersteller von Windkraftwerken stecken in der Flaute. Änderungen im Baurecht sollen nun zwar für Aufwind sorgen, Experten halten es aber für unwahrscheinlich, daß die Windenergie wieder mit dem stürmischem Tempo früherer Jahre ausgebaut wird.
Windkraftanlagen gelten künftig als sogenannte privilegierte Bauvorhaben - so wie bisher schon Atommeiler, Klärwerke oder Funkmasten für Mobiltelefone. Das hat der Bundesrat in der vergangenen Woche beschlossen. Die Karten zwischen Befürwortern und Gegnern moderner Windmühlen sind damit neu gemischt: Bisher wurden Windkraftprojekte fast automatisch abgelehnt, wenn nur ein einzelner Wanderverein dagegen protestierte. In Zukunft haben die Kommunen einen größeren Spielraum, um zwischen dem Nutzen der Windenergie und den Nachteilen abzuwägen.
Damit kehrt das Recht zu einer Praxis zurück, die schon bis 1994 gegolten hatte. Damals entschied das Bundesverwaltungsgericht, die im Baurecht noch unbekannten Windräder seien keine bevorzugten Bauvorhaben. Seitdem tröpfelten die Genehmigungen für neue Anlagen immer spärlicher. Und im vergangenen Jahr legten die Behörden schließlich fast alle neuen Bauanträge auf Eis, weil sie abwarten wollten, welche Änderungen sich im Baurecht politisch durchsetzen würden. Auf diese Weise blieben allein in Nordrhein-Westfalen rund 400 Anträge unbearbeitet.
Obwohl Windräder vom 1. Januar an bevorzugt genehmigt werden, ist nicht zu erwarten, daß sie überall wie Pilze aus dem Boden schießen werden, wie manch ein Landschaftsschützer befürchtet. Die Kommunen können noch bis Ende 1998 jeden Antrag zurückweisen, ohne ihn auch nur zu prüfen, wenn sie einen Flächennutzungsplan aufstellen oder ändern wollen. Nach Ansicht des Deutschen Windenergie-Instituts wird die Branche den "deutlichen Rückschlag", den sie im ersten Halbjahr dieses Jahres erlitten hat, deshalb nicht so schnell wieder wettmachen. Dabei hatten die Hersteller noch 1995 rund 30 Prozent mehr Windanlagen als im Vorjahr verkauft. Der Zuwachs an elektrischer Leistung lag sogar noch weit darüber, denn die Windkraftwerke werden immer größer. Moderne Anlagen übertreffen die Energieleistung ihrer Vorgänger vor fünf Jahren heute um das Zehnfache. Der rasante Fortschritt darf jedoch nicht täuschen: Die rund 4000 heute in Deutschland aufgestellten Windräder decken immer noch deutlich weniger als ein Prozent des gesamten Stromverbrauchs.
Der Ausbau der Windenergie, der nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums etwa 5000 Menschen einen Arbeitsplatz bietet, leidet nicht nur unter dem Baurecht. "Auch die Diskussion um das Stromeinspeisungsgesetz hat die Investoren, Hersteller und Banken sehr verunsichert", meint Bernd Neddermann von der Deutschen Gesellschaft für Windenergie. Das Gesetz verpflichtet die Energieversorger dazu, den Strom der "Windmüller" zu einem erhöhten Preis aufzukaufen.
Einige Stromkonzerne fühlten sich an den verfassungswidrigen Kohlepfennig erinnert und erhoben Klage. In erster Instanz hatten sie damit keinen Erfolg. "Unsere grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen Bedenken sind aber nicht ausgeräumt", betont Arndt Hellmann von der Schleswag, dem Energieversorger in Schleswig-Holstein. Die Schleswag habe für den teureren Strom der Windmühlen im vergangenen Jahr bereits 61 Millionen Mark zusätzlich ausgeben müssen. Den gesetzlichen Aufpreis bezahlt das Versorgungsunternehmen jetzt nur noch unter rechtlichem Vorbehalt. Auch in Bonn wird bereits diskutiert, wie die erhöhten Stromkosten gerechter auf die verschiedenen Energieversorger verteilt werden können. Die regenerative Energie soll aber weiter begünstigt werden.
Auch die Suche nach Standorten für neue Windkraftwerke wird nicht leichter. Zwar ist in Deutschland theoretisch noch viel Platz, nur die besonders günstigen Standorte direkt an der Küste sind bereits weitgehend mit den "Spargeln" vollgestellt. Neue Windräder sollen sich deshalb nun auch auf Anhöhen oder Gipfeln im Binnenland drehen - gerade hier stoßen sie aber häufig auf erbitterten Protest. Naturschützer fürchten nicht nur den Lärm oder störende Lichtreflexe der rotierenden Flügel. Sie schreckt vor allem der Anblick der bis zu 115 Meter hoch aufragenden Ungetüme. "Man sieht sie an diesen exponierten Standorten natürlich schon aus weiter Ferne", räumt Hans-Josef Becker vom Interessenverband Windkraft Binnenland im Sauerland ein.
Noch ist Deutschland nach Angaben des Windenergie-Instituts der weltgrößte Markt für die Energie aus der Luft. "In Zukunft wird für uns aber der Export lebenswichtig", meint Markus Tacke, der Gründer des zweitgrößten Windanlagen-Herstellers in Deutschland. Die großen Zukunftsmärkte sind nach seiner Ansicht Indien, jetzt schon der zweitgrößte Absatzmarkt, China und Lateinamerika. Bisher exportieren die deutschen Hersteller aber nur rund zehn Prozent ihrer Produktion, während die dänische Konkurrenz mehr als 80 Prozent ihrer Anlagen im Ausland verkauft. "Die Dänen sind uns um zehn Jahre voraus", meint Reginald Scholz vom Interessenverband Windkraft Binnenland. Auch in der Standortfrage sind die Dänen bereits einen Schritt weiter: Sie planen bereits "Offshore"-Anlagen, Windmühlen im küstennahen Meer. "In Deutschland", beklagt Windrad-Hersteller Tacke, "fehlen dafür bisher die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen".
© beim Autor/DIE ZEIT 1996 Nr. 29