Kurzgutachten

Zusammenfassungen und Anmerkungen zu

OVG NRW
Urteil vom 30. November 2001 - 7 A 4857/00;
1. Instanz: VG Arnsberg - 4 K 1713/99.
Presseerklärung des OVG NRW zur Entscheidung vom 04.12.01
Veröffentlichung der schriftlichen Entscheidung am 17.12.01 mit einem Umfang von 62 Seiten.

Das Gericht hat die Revision zum BVerwG zugelassen
Sachgebiet: Bauplanungsrecht

Normen: BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 6; § 35 Abs. 3 Satz 3

Schlagwörter: Windenergie, Windenergieanlage, Windkraftanlage, Privilegierung, Außenbereich, Steuerung, Vorrangzone, Konzentrationszone, Gemeinde, Flächennutzungsplan, Förderung, Ertrag, Plankonzept, Ausschlusswirkung, Tabu-Zone, Immissionsschutz, vorbeugender Immissionsschutz, Siedlung, Siedlungserweiterung, Naturschutz, Landschaftspflege, Erholung, Erholungsfunktion, Landschaftsbild, Verunstaltung, Offenlegung, Bekanntmachung, Offenlegungsbekanntmachung, Anstoßwirkung, Ausnahme, -Regel, regelmäßige Ausschlusswirkung

I. Leitsätze

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Gemeinden sind durch § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dazu ermächtigt, die möglichen Standorte von Windenergieanlage restriktiv zu steuern, indem sie zugleich durch Darstellung von Vorrangzonen geeignete Standorte im Flächennutzungsplan positiv festlegen; dabei reicht die Ausweisung nur einer Vorrangzone aus.

2. Die Gemeinden haben bei dieser Ausweisung keine besondere Pflicht zur Förderung der Windenergie; sie sind auch nicht verpflichtet, einen wirtschaftlich optimalen Ertrag der Windenergienutzung sicherzustellen.

3. Die Ermittlung und Festlegung von Vorrangzonen für Windenergieanlagen setzt ein schlüssiges, hinreichend städtebaulich motiviertes Plankonzept für das gesamte Gemeindegebiet voraus; dieses kann an global und pauschalierend festgelegten Kriterien für die Ungeeignetheit der von der Ausschlusswirkung erfassten Bereiche ausgerichtet werden.

4. Bei der Festlegung von Tabu-Zonen aus Gründen des Immissionsschutzes können pauschale Abstände zu jeder schützenswerten Wohnbebauung angesetzt werden, diese Abstände können zulässigerweise auch auf einen vorbeugenden Immissionsschutz ausgerichtet werden und konkret für weitere Entwicklungen in den Blick genommene potenzielle Siedlungserweiterungsflächen mitberücksichtigen.

5. Auch aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsfunktion der Landschaft können bestimmte "Tabu-Flächen" aus der weiteren Prüfung ausgesondert werden.

6. Wird der Entwurf der Ausweisung einer Vorrangzone öffentlich ausgelegt, bedarf es bei der Bekanntmachung der Offenlegung keines ausdrücklichen Hinweises auf die sich aus § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergebende Ausschlusswirkung.

7. Eine Ausnahme von der regelmäßigen Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu bejahen.

8. Eine zur Verunstaltung führende Wirkung von Windenergieanlagen ist nur anzunehmen, wenn es sich bei dem optisch betroffenen Bereich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Umgebung handelt oder wenn ein besonders grober Eingriff, in das Landschaftsbild in Rede steht.

Den Leitsätzen des Gerichts sind folgende für die Praxis ebenfalls wichtige Leitsätze (weitgehend originale Zitate aus der Entscheidung mit Seitenangaben) anzufügen:

9. (Nr. 3 ergänzend) Jedenfalls bei der Bauleitplanung sind Windindustrieanlagen nicht uneingeschränkt privilegiert (S. 18f.). Hieraus ergibt sich für die planerische Konzeption der Gemeinde ein weiter Gestaltungsspielraum (S. 24).

10. Nach sachgerechter Prüfung unter zugrundelegung eines städtebaulichen Konzeptes (und unter Beachtung der Erfordernisse des Abwägungsgebotes) kann eine Gemeinde zu dem Schluss kommen, dass in ihrem Gebiet überhaupt keine für Windenergie geeignete Fläche vorhanden ist und kann in einem solchen Fall das erforderliche gemeindliche Einvernehmen versagen (S. 19f., 25). Die Gemeinde kann ihre Abwägung an mehr oder weniger global und pauschalierend festgelegten Kriterien für die Ungeeignetheit der von der Ausschlusswirkung erfassten Bereiche ausrichten (S. 37).

11. Trotz der - nicht uneingeschränkten - Privilegierung der Windkraft ist der nach wie vor gebotene Außenbereichsschutz zu gewährleisten und zugleich auch eine Bündelung von Anlagen (als 'Windenergieparks') zu ermöglichen (S. 25f.).

12. Den Zielsetzungen der Raumordnung NRW (wie zuletzt formuliert im Winderlass vom 03.05.00) kommt keine den Abwägungsprozess der Gemeinde bindende Wirkung gemäß § 1 Absa.4 BauGB zu (S. 27ff.). Sowohl § 26 LEPro wie auch den Regelungen des Landesentwicklungsplans NRW (vom 11.05.1995, GV. NW S.532) fehlt die für ein Ziel der Raumordnung erforderliche Verbindlichkeit und Bestimmtheit (S. 28), letzterem fehlt auch die Bindung der kommunalen Bauleitplanung. Entgegen dem besonderen Landesinteresse an einer Nutzung erneuerbarer Energien führt dieses Interesse nicht zu einer strikten Bindung bei der Abwägung gegenüber konkurrierenden Belangen (S. 29). Gleiches gilt für diesbezügliche Zielsetzungen der Landespolitik (S. 32). Auch ein ministerieller Erlass vermag der gemeindlichen Bauleitplanung keine Pflichten vorzugeben, die über die sonst bestehenden rechtlichen Bindungen des BauGB und anderer Rechtsnormen hinausgehen (S. 27f.). Etwas anderes kann sich bei der Festlegung von Eignungsgebieten in einem Gebietsentwicklungsplan ergeben (S. 25, 29).

13. Der Umstand, dass nach § 1 Abs.5 Satz 2 Nr. 7 BauGB auch die Nutzung erneuerbarer Energien bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigen ist, ist durch die Rechtsprechung insoweit geklärt, dass die in dieser Vorschrift genannten Belange weder abschließend sind noch in ihrer Zusammenstellung einen Vorrang in sich oder gegenüber privaten Belangen enthalten, weshalb selbst ein auch nur relativer Vorrang des einen genannten Belangs gegenüber einem anderen sich auch nicht abstrakt festlegen lässt (S. 31f.)..

14. Aus § 4 Abs. 3 Nr. 4 LG NRW lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Pflicht der Gemeinde herleiten, die Windenergienutzung im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung zu fördern (S. 32f.; siehe auch OVG NRW v. 12.06.01, Az.:10 A 97/99 sowie dies bestätigend BVerwG v. 15.10.2001, Az.: 4 B 69.01).

15. (Nr.4 ergänzend) Eine Gemeinde kann mehr oder weniger pauschale Abstände zu jeder schützenswerten Wohnbebauung festsetzen. Diese Abstände können ferner ihrer Größenordnung nach daran orientiert sein, dass problematische Immissionssituationen bei der Ansiedlung der emissionsträchtigen Anlagen generell ausgeschlossen sind, sodass man im Hinblick auf den gebotenen Immissionsschutz von vornherein "auf der sicheren Seite" liegt. Darüber hinaus kann eine Gemeinde ihre Planungen zulässigerweise auch auf einen vorbeugenden Immissionsschutz ausrichten, so dass jedwede Immissionen nach Möglichkeit unterschritten werden (S. 39f.) und § 50 BImSchG entsprochen wird (S. 38). Statt 750m zu überwiegend im Ortszusammenhang liegender Wohnbebauung können noch deutlich höhere Abstandswerte als vorzugswürdig angesehen werden (S. 41). Bei Abständen zu Flächen aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes, der Erholung und des Fremdenverkehrs muss die Errichtung von Windindustrieanlagen nicht den Grad einer Verunstaltung des Landschaftsbildes oder einer Vereitelung der Erholungsfunktion erreichen.

16. (Nr.4 und 5 ergänzend) Es ist ein legitimes Anliegen einer planenden Gemeinde, sich bei der Ausweisung von Vorrang- und Konzentrationszonen für Windenergieanlagen künftige Entwicklungsmöglichkeiten, die jedenfalls der Sache nach nahe liegen, nicht von vorneherein durch die Ausweisung von Vorrangzonen im Wortsinn zu "verbauen" (S. 42). Hierzu gehören z.B. Flächen für eine künftige Weiterentwicklung der Siedlungsbereiche (S. 43) und wohl auch Flächen aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes, der Erholung und des Fremdenverkehrs (S. 44ff.).

17. (Nr. 2 ergänzend) Die gesetzliche Privilegierung von Windenergieanlagen gewährt keinen Anspruch darauf, Windenergieanlagen in jeder Gemeinde mit optimalem Ertrag betreiben zu können (S. 47, 48, 50). Es genügen die im Rahmen der von der Gemeinde vorzunehmenden Abwägung getroffenen Einschätzungen für überhaupt wirtschaftlich tragfähige Bedingungen (S. 50). Anderes gilt nur, wenn für Anlagen der Windenergie festgelegte (Vorrang-)Flächen aus faktischen oder offen zutage liegenden Gründen unwirtschaftlich sind und ausscheiden (S. 49).

18. (Nr. 8 ergänzend) Im Gegensatz zu einer Bauleitplanung ist bei einem konkreten Bauantrag oder Bauvorbescheid zugunsten privilegierter Vorhaben stets das ihnen von § 35 Abs.1 BauGB anerkannte gesteigerte Durchsetzungsvermögen in Rechnung zu stellen (S. 55). Dann können sich öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs.3 BauGB nur durch setzen, wenn sie dem privilegierten Vorhaben entgegen stehen. Das ist am Einzelfall zu entscheiden.

II: Anmerkungen zu den Leitsätzen:

Zu 2 und 17: Hieraus ergibt sich, dass auch Beschränkungen auf z.B. 100m Gesamthöhe (oder auch weniger; Herr Bauminister Vesper räumte in einer Anhörung am 21.12.01 in Anwesenheit vieler Zeugen ein, dass auch schon 20m Höhe raumbedeutsam sein könne) unter Gesichtspunkten des Schutzes des Landschaftsbildes sachgerechte Erwägungen darstellen, denen eine höhere wirtschaftliche Ausbeute durch höhere Anlagen nicht entgegen gesetzt werden kann. Grundsätzlich sind die EEG-Vergütungen für Windkraft in Deutschland so hoch, dass fast jeder Standort in diesem Sinne "wirtschaftlich" ist. Das Gericht hat wohlweislich den Begriff des "wirtschaftlich", also die hohen EEG-Subventionen und die Steuervergünstigungen z.B. durch Abschreibungen, nicht näher definiert. Viele Standorte sind für die Bauträgergesellschaften zur Errichtung von WKA aber nur deshalb wenig oder nicht interessant, weil der Ertrag an manchen Standorten so gering ist - ohne dass die Anlagen unwirtschaftlich werden -, dass sich ihr Aufwand (sog. soft costs), der sich auf bis zu 40% des Kaufpreises summieren kann - den wiederum die Kommanditisten zu zahlen haben - nicht aus einer wenig(er) windhöffigen Lage erwirtschaften lässt. Die Investoren haben deshalb ein ausschließlich wirtschaftliches Interesse an möglichst hohen WKA um möglichst hohe "soft costs" den Kommanditisten in Rechnung stellen zu können. Solche mithin fachfremden Erwägungen auf möglichst hohe WKA haben in einer nach fachlichen Kriterien abzuwägenden Bauleitplanung nichts zu suchen. Denn jeder weitere Höhenmeter potenziert die Zerstörung des Landschaftsbildes, da der visuelle Eingriff eine immer größere Fläche (Entfernungswirkung) umfasst, von der aus die Anlage gesehen wird und durch die unentwegten Rotordrehungen als belästigendes Element einwirkt. Hingegen vermögen manche wenig(er) windhöffigen Standorte gerade durch die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten von Vielverdienern "wirtschaftlich" zu werden.

Der Fall Neuenrade wird auch insoweit interessant bleiben, als dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für eine zu genehmigende Anlage zugesprochen wurde. Im Verfahren hat dieser Kläger diesen Standort aber selbst für unwirtschaftlich bezeichnet. Es wird insoweit von großem Interesse sein, ob der Kläger aufgrund seiner eigenen Einlassungen zur Unwirtschaftlichkeit des Standortes überhaupt und in welchem Umfang einen Schaden geltend machen bzw. konkretisieren kann. Darüber hinaus handelte es sich lediglich um eine Bauvoranfrage, bei der wohl nur das negative Interesse als Schaden geltend gemacht werden kann, also die bisherigen Planungskosten pp. In einem nachfolgenden ortsbezogenen Genehmigungsverfahren, was aufgrund der Unwirtschaftlichkeit des Standortes ja wohl nicht mehr kommen dürfte, können dann sehr wohl insbesondere immissionsrechtliche Gesichtspunkte zum Ausschluss der Anlage führen. Ob aufgrund der zu erwartenden Immissionsprobleme eine schalloptimierte Betriebsweise ggfls. überhaupt in Betracht kommt, hat das Gericht ausdrücklich offen gelassen (S. 54).

Zu 4, 5, 15 und 16: Naturnahe Landschaften sind eine immer seltener, den Menschen verloren gehende Ressource in unserer hochtechnisierten und industrialisierten Gesellschaft. Eine beispiellose technische Überprägung immer größerer Flächen ist die Folge. Selbst "nur noch weitestgehend" naturnahe Landschaften gewinnen schon deshalb stetig an Wert für die Gesellschaft wie auch die Tierwelt, insbesondere aber für die örtliche Bevölkerung. Völlig zu Recht wird seit Jahren eine unaufhaltsame Versiegelung der Landschaft durch die Industrie beklagt. Hierzu gehören gerade in den letzten Jahren auch - wenn nicht sogar in besonderem Umfang - die solchermaßen immer größere Flächen zerstörenden Windindustriegebiete. In Norddeutschland muß man immer häufiger 20-30km und mehr fahren, um eine Landschaft zu finden und ggfls. zu erleben, in der keine Windindustrieanlagen mehr zu sehen sind. Vor diesem Hintergrund kommt dem Wert einer (weitestgehend) naturnahen Landschaft (Landschaftsbild) eine stetig wachsende Bedeutung zu, gerade auch bei einer Abwägung im Rahmen einer Bauleitplanung. Ihr Wert kann deshalb auch ausserhalb von unter förmlichen Schutz gestellten Landschaften nicht hoch genug angesetzt werden.

Zu 11: Hier stellt sich die noch offene Frage, ob überhaupt Einzelanlagen zulässig sind, nicht vielmehr nur "Windparks", da letzteres das Ziel des Gesetzgebers war und ist. Wenn überhaupt müssten an Einzelanlagen besonders strenge Anforderungen gestellt werden, um einen einzelnen Eingriff zu rechtfertigen, da dem gesetzlichen Ziel einer Konzentration von Windkraftgebieten durch einzelne Bauvorhaben gerade nicht entsprochen bzw. entgegen gewirkt wird. Im vorliegenden Fall ging es allerdings nicht um eine Einzelanlage, da auf der ausgewiesenen Fläche noch mehrere WKA möglich sind.

Zu 12: In NRW sind nur im RP Münster Gebietsentwicklungspläne in Sachen Windkraft verabschiedet worden. Das OVG NRW scheint solche Planungen positiv einzuschätzen und auf den ersten Blick in solchen Fällen strengere Maßstäbe an restriktive Flächenentscheidungen zur Einschränkung von WKA an die Gemeinden zu stellen. Allerdings geht das Gericht auch darauf ein, dass erst später bekannt werdende örtliche (öffentliche) Belange auch im Nachhinein in die Abwägung einzustellen seien. Da die GEP-Planung die Flächen notgedrungen nicht bis in die letzten Einzelheiten ortsbezogen geprüft hat (haben kann), können sich nachträglich ergebende Besonderheiten - ob während der GEP-Planung übersehen oder erst im Nachhinein eingetreten - stets restriktiv zu Flächenreduzierungen von Eignungsgebieten führen. Da im GEP des Regionalrates für den Bereich des Münsterlandes jedoch weitestgehend keine Vorrangflächen, sondern nur Eignungsflächen festgelegt wurden, sind gerade deshalb auch die GEP-Flächen für WKA erheblich reduzierbar. In einem vergleichbaren Fall des VG Trier (5 K 654/01.TR vom 24.10.01) sind vom Gericht Reduzierungen von durch den GEP (Raumplanung) festgelegten Eignungsflächen durch die betroffene Gemeinde im Rahmen eines F-Plans auf nur noch etwa 15% der ursprünglichen GEP-Fläche als rechtmäßig anerkannt worden.

Dies wird jedoch besonders pikant dadurch, dass in vielen Gemeinden der GEP für das Münsterland erheblich mehr Flächen ausweist, als das OVG NRW dies als erforderlich anzusehen scheint. In der Regel werden solche Gebiete durch die Raumplanungsbehörden (beim RP Münster der Regionalrat) gemeinsam mit den Gemeinden abgestimmt, bevor sie in den GEP aufgenommen werden. Hier stellt sich nun die Frage, ob die Gemeinden, denen besonders viele WKA-Gebiete zugemutet wurden und werden, vor ihrer Entscheidung hierzu angemessen und im Sinne dieser OVG-Entscheidung objektiv darüber informiert wurden, dass sie in ihrem Gemeindegebiet überhaupt nur ein Gebiet für Windkraft ausweisen bzw. dulden müssten. Das dürfte nach hier vorliegenden Informationen häufig nicht der Fall sein. Folglich sind diese Gemeinden durchaus in der Lage bei der Planungsgemeinschaft/Regionalrat einen Antrag (mit entsprechender Begründung) auf Herausnahme (Zielabweichungsverfahren) von Teilen ihres Gemeindegebietes aus dem GEP-Plan zu fordern, jedenfalls es auf eine Fläche für Windkraft zu beschränken. Der Antrag ist nicht an den RP zu stellen, zumal dieser dem Bauministerium gegenüber weitgehend weisungsabhängig ist und auch weiterhin mit rechtswidrigen bzw. fragwürdigen Erlassen durch dieses Ministerium zu rechnen ist.

Angesichts der wohl häufig falschen bzw. nicht objektiven Darstellungen der Rechtslage bei der Erarbeitung und dann Verabschiedung des GEP des Münsterlandes (aus dem Jahr 1997) stellt sich auch die erst kürzlich aufgeworfene Frage grundsätzlich neu, nämlich ob Gemeindeflächen zugunsten von WKA innerhalb eines GEP durch einen F-Plan reduziert werden können, ohne dass Ansprüche von laufenden /ruhenden Bauanträgen auf Genehmigung ohne Weiteres wieder aufleben. Hierzu muss jede Gemeinde für sich die GEP-Entwicklung und die Gründe, die für die einzelnen WKA-Gebiete, insbesondere von der höheren Behörden vorgetragen wurden, rekapitulieren. Dabei spielt auch noch eine nicht unbeträchtliche Rolle, dass die restriktiven Möglichkeiten des § 245 b BauGB mit seiner Frist bis zum 30.12.1998 von vielen Gemeinden im Vertrauen auf die GEP-Planung nicht wahrgenommen wurde, soweit dies im Einzelfall überhaupt möglich war.

Ähnliche Fragen stellen sich den Gemeinden, die ohne durch einen GEP-Plan gebunden zu sein, im Hinblick auf diese OVG-Entscheidung unnötigerweise zu viele oder zu große Flächen zugunsten der Windkraft in einem F-Plan bereits ausgewiesen haben. Hier wäre zunächst zu klären, inwieweit vorgesetzte bzw. höhere Behörden den Gemeinden vor Ort falsche Fach- und Rechtsinformationen über den Umfang von Flächen für Windkraft übermittelt haben, insbesondere was die gesetzlich notwendig auszuweisenden Flächen anlangt. Nach hier vorliegenden Erkenntnissen sind diese Vorgaben in der Regel viel zu extensiv gewesen, so dass durch nachträgliche restriktive Maßnahmen diese Flächen verkleinert werden können. In der Regel haben die die F-Pläne genehmigenden Behörden wie auch die RP die objektive Rechtslage den Gemeinden nicht so dargestellt, wie dies notwendig gewesen wäre, bzw. durch diese OVG-Entscheidung nunmehr klargestellt wurde. Eine solche Planänderung kann kurzfristig durch eine F-Planänderung erfolgen, die die genehmigenden Behörden auch kurzfristig genehmigen müssen. Kurzfristig hilft auch ein B-Plan mit Veränderungssperre, sicherheitshalber zunächst für das ganze gemeindliche GEP-Gebiet.

Soweit die höheren Behörden auf die zwischenzeitlich eingereichte angebliche Vielzahl von Bauanträgen im GEP-Gebiet des Münsterlandes verweisen (oder auf solche in nun ggfls. aufhebaren F-Plangebieten), und in Verbindung damit, dass diese Bauanträge zwischenzeitlich positiv zu bescheiden wären und im Zusammenhang hiermit auf möglichen Schadenersatz der Antragsteller verweisen, um Flächenreduzierungen bzw. entsprechende Verfahren zu vermeiden, so müssen dies nicht in jedem Fall durchgreifende Bedenken sein. Denn gerade wenn WKA-Eignungsgebiete wegen zu knapper Abstände zur Wohnbebauung wieder verkleinert werden könnten, so konnten die Bauantragsteller hingegen auch nicht grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Sicht der Dinge, wie sie in obiger Entscheidung die Klägerseite vorgetragen und behauptet hat und auch Grundlage einer F-Planung gewesen sein mag, auch für alle Zukunft Gültigkeit haben muß. Soweit dennoch Schadensersatzansprüche zur Disposition stehen, hätte die örtlich nachteilig betroffene Gemeinde zu prüfen, ob für solche Schäden nicht die höhere Behörde einzustehen hat, die möglicherweise aufgrund falscher oder unvollständiger Fach- und Rechtsberatung dafür verantwortlich sein könnte, dass (insbesondere sachlich und fachlich) örtlich zu viele Vorrang- und/oder Eignungsflächen für Windkraft ausgewiesen wurden, die aufgrund der hiermit vorliegenden Entscheidung von Anfang an sehr viel restriktiver hätte abgewogen werden können. So wurden nicht selten nur 200m zu Einzelgebäuden und nur 500m zur im Zusammenhang stehenden Wohnbebauung gewährt. Wenn nun stattdessen spielend auch der doppelte Abstand gerechtfertigt erscheint, liegt ein Grund zur restriktiven Änderung einer F-Planung auf der Hand. Ähnliches gilt für die vorbeugende Planung, Erholungsgebiete, Fremdengebiete und für Bereiche der Landschaft und der Natur.

Die durch das Bauministerium NRW (s. Winderlass NRW v. 03.05.2000) geförderte Genehmigungspraxis von bis zu zwei WKA auch ausserhalb von Vorrang- bzw. Eignungsflächen (ob durch F- oder B-Plan) hat sich mit dieser Entscheidung endgültig erledigt, da offensichtlich rechtswidrig. Nichts anderes gilt für Gebiete ausserhalb (Ausschlussgebiete) des GEP. Da der einzige GEP in NRW im Gebiet des RP Münster erheblich mehr WKA-Flächen ausweist, als das OVG NRW in seiner Entscheidung auf kommunaler Ebene als notwendig zu entscheiden erachtet, bleiben insbesondere für Anlagen ausserhalb dieser Flächen - auch und gerade nicht in einer Ausweitung eines 100m oder gar 200m Abstandes - weder Ermessensspielräume noch Genehmigungsmöglichkeiten. Ein Ausschlussgebiet ist und bleibt ein Ausschlussgebiet. Ausnahmen sind von eher theoretischer Natur. In der Regel sind die Grenzen des GEP so genau definiert und erkennbar, dass für Standorte ausserhalb eine besondere und kaum leistbare Rechtfertigung und Begründung vorzutragen wäre.

Fest steht, dass die WKA-Flächenplanung durch diese Entscheidung grundsätzlich klarer aber nicht unbedingt einfacher geworden ist, allerdings erheblich komplexer für den Bereich des RP Münster. Jedenfalls werden nun in den Gemeinderäten die finanziellen Interessen der einzelnen Gemeinderäte noch deutlicher und erst Recht offenbar, da sie ihre Flächenwünsche für WKA - und damit nach finanziellen Einnahmen und Vorteilen aus ihrer Ratsmitgliedschaft - nicht mehr mit einer gesetzlichen Situation begründen können.

Zu 14: Das OVG NRW machte in seiner Entscheidung vom 12.06.01, Az.: 10 A 97/99, nun bestätigt durch die Entscheidung des BVerwG vom 15.10.2001 Az.: 4 B 69.01, vor allem deutlich, dass die politischen Vorgaben der Landesregierung sich nicht über rechtliche Regeln und Gesetze hinweg setzen dürfen und bezieht sich hierzu beispielhaft auf § 4 Abs.3 Nr.4 LG NRW. Diese Regelung nahm der damals entscheidende 10. Senat zum Anlass darauf hinzuweisen, dass z.B. bei der Beurteilung des Landschaftsbildes nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG der Maßstab des für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters maßgebend ist, was stets eine Einzelfallentscheidung zur Folge hat und keiner Pauschalierung zugängig sei. Das wiederum hat zur Folge das dieser Rechtsprechung (bzw Bundesrecht) entgegen stehende Regelungen der Landesregierung, ob durch das Gesetz, wie in § 4 LG NW, oder durch Regelungen im Winderlass vom 03.05.00, als pauschale Regelungen rechtswidrig sind. Das gilt z.B. für die Definition der Raumbedeutsamkeit iVm. der Zulässigkeit von zwei WKA auch außerhalb ausgewiesener Gebiete, also in Ausschlussgebieten usw., sowie der (nicht zulässigen) Pflicht der zuständigen Behörden solche Anträge genehmigen zu müssen (siehe beispielhaft rechtlich zweifelhafte Ausführungen des Ausschusses für Umweltschutz und Raumordnung des Landtages NRW vom 07.02.2001 unter 4.1 am Ende). Durch die erneute Auseinandersetzung mit § 4 LG NW in der neuen Entscheidung - nun auch des 7. Senats - bestätigt sich die kritische Sicht auf diese und ähnliche landesgesetzliche Regelungen. Hieraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass solche landesgesetzlichen Regelungen nicht nur gegen Bundesrecht verstoßen, sondern aufzuheben sind.

Zu 12-14: Hier wird endlich einmal klar und eindrücklich dargelegt, dass politische Ziele zugunsten der erneuerbaren Energien grundsätzlich rechtlich unbeachtlich sind, soweit sie nicht näher bestimmt werden. Hieran kann nun auch die Erlasssituation der Ministerien, soweit z.B. das Bauministerium NRW in einzelne Verfahren eingreift, wie dies immer wieder vorkommt, erneut auf den Prüfstand gestellt werden, bzw. zeigt deren Grenzen eindeutig auf.

Zu 15: Endlich ist einmal Schutz, Zweck und Bedeutung des vorbeugenden Immissionsschutzes ausgeführt und für das Bauleitplanverfahren thematisiert worden. Hier ergibt sich ein erhebliches Potential. Wenn nicht jetzt, wann sonst muss mit dem vorbeugenden Immissionsschutz begonnen werden. Dass das in der Vergangenheit häufig anders und zum Nachteil der Bevölkerung geschah, spricht gerade nicht hiergegen. Es stellt auch ersichtlich keine Schlechterstellung der Windkraft gegenüber anderen immittierenden Industrieanlagen dar, da auch für solche in Zukunft der Gesichtspunkt der Vorsorge vor Immissionen in der Bauleitplanung erheblich an Gewicht gewinnen muß und abzuwägen ist. Ein Mindestabstand von 500m oder 600m zur im Zusammenhang stehenden Wohnbebauung - wie er derzeit für den in Kürze erwarteten neuen Winderlass NRW diskutiert und aus vielerlei Gründen zu Recht mehrheitlich erwartet wird - stellt für eine Bauleitplanung folglich eine weit hinter den nun tatsächlich möglichen Optionen zurück bleibende Regelung dar. Denn die Entscheidung des OVG lässt auch die Grenze nach oben ausdrücklich offen, also gar 1500m oder gar 2000m Abstände festzulegen, wenn hierfür besondere ortsbezogene Gründe vorliegen sollten. Dies kann zum Beispiel bei hochsensiblen Pferdebetrieben der Fall sein.

Der von Investoren immer wieder erfolgte Versuch mit sog. schalloptimierten Betriebsarten von Windanlagen oder betrieblichen Reduzierungen oder gar zeitlichen Abschaltungen eine Genehmigung für ihre Windanlagen zu erhalten, die sie sonst wegen naheliegender immissionsrechtlichen Bedenken nicht erhalten könnten ist - jedenfalls im Rahmen der Bauleitplanung - ebenfalls und zu Recht eine Absage erteilt worden. Denn solche Betriebseinschränkungen führen in der Praxis zu nicht enden wollenden jahrelangen - auch gerichtlichen - Auseinandersetzungen zwischen der betroffenen Bevölkerung, der zuständigen Behörde und den Windanlagenbetreibern. Bis heute sind die verschiedenartigen und auch in der Summation zu beachtenden Immissionen solcher Windindustrieanlagen (wie Lärm-, Schatten und Sichtimmissionen usw.) mir Messungen verschiedenster und langwierigster Art so schwer und unsicher in den Griff zu bekommen - u.a. weil es sich um eine atypische in etwa 100m Höhe befindende Immissionsquelle handelt mit unvergleichbaren und einer zum Teil chaotischen Ausbreitungscharakteristik, wie sie die TA-Lärm jedenfalls qualitativ nicht erfasst - dass solchen Unsicherheiten zu Lasten der gegenüber der Bevölkerung finanziell weit überlegenden Investoren völlig zu Recht nur dadurch angemessen begegnet werden kann, dass jedenfalls im Bauleitplanverfahren durch großzügig bemessene Abstände solchen Streitigkeiten vorgebeugt wird. In einem Abstand unter 500m zur Wohnbebauung bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung solchen Betriebsarten aus obigen Gründen ebenfalls keine Zukunft gibt.

Zu 16: Die durch diese Entscheidung besondere Stärkung der kommunalen Planungshoheit und die Wahrung, wie auch Durchsetzung damit zusammenhängender gemeindlichen Interessen führen selbstverständlich auch zu einem angemessen, die Interessen durchzuführenden Abwägungsprozess bei solchen häufig kritischen Windgebietsflächen, die knapp oder (häufig) unmittelbar an Gemeindegrenzen liegen. Denn auch hier hat nun die nachteilig durch Planungen der Nachbargemeinde betroffene Gemeinde eine gerichtlich gestärkte Rechtsposition, indem ihren (im Rahmen der Anhörung z.B. bei der Flächennutzungsplanung darzulegenden) Interessen dadurch gebührend entsprochen wird, dass die Windflächen planende Gemeinde solche Abstände (von z.B. 1000m zur nächsten im Zusammenhang stehenden Wohnbebauung) wählt, dass sowohl auf die Interessen der benachbarten Bevölkerung, wie auch auf die nachbarlichen kommunalen Planungen im Hinblick auf Natur- und Landschaftsschutz, Erholung und Fremdenverkehr angemessen Rücksicht genommen wird.

Zu 15, 16 und 18: Auch diese Entscheidung macht deutlich, dass förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellte Bereiche als öffentlicher Belang iSd § 35 Abs.3 BauGB der Genehmigung einer WKA entgegen stehen (S. 55). Der Unterzeichner merkt an, dass solche förmlich durch eine Schutzverordnung - auf deren Inhalt es dann nicht mehr ankommt - unter Schutz gestellten Gebiete sowieso höherrangige, der Privilegierung nicht unterliegende Gebiete sind, auf die sich die Privilegierung des § 35 Abs.1 Nr.6 BauGB nicht auswirken kann. Dazu zählen Naturparks, Landschaftsschutzgebiete, Ramsar und FFH-Gebiete bis zu Naturschutzgebieten und Nationalparks. Eine anderweitige Aufhebung eines solch geschützten Gebietes - um auf diesem Weg den Bau von Windindustrieanlagen zu ermöglichen - scheitert in der Regel an den durch die Rechtsprechung entwickelten restriktiven Kriterien, wie sie im aktuellen Winderlass vom 03.05.00 verkannt werden (siehe hierzu das kritische Gutachten des geladenen Unterzeichners in Sachen Windkraft zur Anhörung im Landtag am 19.09.01 mit umfangreichen Zitaten und Hinweisen aus der hierzu vorliegenden Rechtsprechung).

III. Schlussfolgerungen:

Insgesamt stellt die Entscheidung wohl eine gelbe Karte für die Landesregierung bzw. die federführenden Bau- und Umweltministerien NRW dar. Die Ministerien betonten als Antwort auf den zahlreichen Widerstand durch die besonders aktiven Bürgerinitiativen in NRW immer wieder, Windkraft dürfe nicht schlechter gestellt werden als andere Industrieanlagen. Durch diese Entscheidung wird endlich deutlich wie sehr Windindustrienlagen gegenüber anderen Anlagen bevorzugt wurden und werden.

Das Urteil ergänzt die Entscheidung des OVG NRW vom 12.06.01, die zwischenzeitlich vom BVerwG am 15.10.01 bestätigt wurde.

Das Urteil war zwar aufgrund anderweitiger Entscheidungen des Gerichts in dieser Richtung zu erwarten, nicht aber in dieser Deutlichkeit. Im Rahmen der Revision wird interessant zu beobachten sein, ob die zum Teil anderen Auffassungen des OVG Lüneburg Bestand haben werden.

Es steht außer Frage, dass auch die erheblichen externen Kosten (Landschaftsverbrauch und -zerstörung, Lärmteppiche, Immobilienpreisverfall, soziale Verwerfungen und Ausgrenzungen betroffener Familien usw.) durch den immer weiter wachsenden Zubau der Landschaft durch Windindustrieanlagen und zum Nachteil der Menschen noch Gegenstand von Verfahren und Abwägungen sein müssen. Die Rücksichtslosigkeit der Windindustrie ist hier erst noch aufzuarbeiten und wird an zahllosen realisierten Fällen belegt werden. Gleiches gilt für die inzwischen widerlegten angeblichen ökologischen Eigenschaften solcher inzwischen gigantischen Industrieanlagen und die widerlegten ökologischen Behauptungen der Investoren und Betreiber solcher Anlagen (wonach z.B. solche Maschinen je nach Nennleistung 500, 1000 oder 5000 Menschen mit Strom versorgen könnten ohne auf die massiven Problemen der Unstetigkeit pp. der Windkraft einzugehen oder die widerlegte und dennoch von der Verbraucherministerin NRW unwidersprochen geduldete unwahre Behauptung, wonach jede durch Windkraft erzeugte kWh im Verhältnis 1:1 CO2 mindere bzw. konventionellen (Atom-) Strom substituiere).

Auch wenn noch viele Fragen offen bleiben, so kommt dieser Entscheidung doch eine grundsätzliche Bedeutung zu, die der erheblich gewachsenen Bedeutung des landschaftlichen Zubaus durch solche Industrieanlagen, wie auch der durch die Windlobby verursachten erheblichen Unsicherheit der Rechtsauslegung entspricht und insoweit überfällig war. Es bleibt zu hoffen, dass diese Entwicklung der Rechtsprechung sich auf dem durch diese Entscheidung vorgezeichneten Weg weiterentwickelt, da noch viele mysteriöse Entwicklungen der Windkraft in Deutschland abzuarbeiten sind.

RA Thomas Mock
Remagen, den 02.01.2002