Offener Brief an Gila Altmann, Staatssekretärin im BMU Berlin
31.10.2001
Manfred Knake schrieb:


Moin Gila,

ich kann mich des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass Natur- und Umweltpolitik in der Republik auch von den Bündnsigrünen nur noch für Menschen mit absolutem Kurzzeitgedächtnis oder für die ganz Schlichten gemacht wird, und das trotz des häufig strapazierten Begriffs "Informations- und Kommunikationsgesellschaft".

Am Beispiel der beginnenden trilateralen Wattenmeerkonferenz in Esbjerg lässt sich das mal wieder belegen: Ich erinnere an die sechste trilaterale Wattenmeerkonferenz 1991, also vor zehn Jahren, ebenfalls in Esbjerg. Wir wären heute mit dem Wattenmeerschutz ein ganzes Stück weiter, wenn der Mitgliedsstaat Deutschland bis heute seine Hausaufgaben der damaligen Konferenz gemacht hätte und die damaligen Beschlüsse in ausreichendem Maße umgesetzt hätte.

Dazu gehörten u.a.:

Inzwischen wurde das Nationalparkgesetz Niedersächsisches Wattenmeer auf Betreiben der Tourismusindustrie mit Hilfe der Landes-SPD "novelliert". Dieser Nationalpark war noch nie ein anerkanntes Schutzgebiet nach den IUCN Richtlinien, jetzt wird überlegt, diese Karrikatur eines Schutzgebietes als "UNESCO-Weltnaturerbe" öffentlichkeitswirksam zu verhökern. Sogar in gemeldete FFH- und EU-Vogelschutzgebiete wurde durch die Novellierung eingegriffen, als Staatssekretärin hätten wir mindestens einen warnenden Zeigefinger wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftrecht erwartet. Eine EU- Beschwerde ist in Vorbereitung, mit der sich Dein Haus ggf. beschäftigen muss.

"Die Bevölkerung" (wenn sie den Nationalpark überhaupt bemerkte ) hat auch gut mit dem alten Nationalparkgesetz gelebt und die Vermieter die Übernachtungszahlen damit örtlich kräftig angehoben. Mit einem Mal plebeszitäre Elemente für den Schutz des Wattenmeeres zu propagieren erscheint mir so, als ob wir 80 Millionen Experten für Fußball und Politik der Republik nun auch auf die Entscheidungsfindung und Umsetzung von diffizilen Schutzstandards im Wattenmeer loslassen würden. Für diesen Fall befürchte ich die weitere Ausweisung von Badestränden, Golfplätzen und anderen Outdoor-Fun-Einrichtungen, nicht aber die Lebensbedürfnisbefriedigung des in der Bevölkerung überwiegend unbekannten Seeregenpfeifers, um nur ein Beispiel zu nennen. Das wäre eigentlich
Aufgabe der Politik gewesen, eigentlich, siehe oben.

Ich hätte von Dir als Küstenanwohnerin (und Berufskollegin) ein bisschen mehr Geschichtsbewußsein für die bisherigen Schutzbemühungen erwartet, zumal in Deiner politischen Partei der Name "grün" auftaucht. Aber bei den Bündisgrünen sollen ja im Laufe der Machtteilhabe noch andere Prinzipien über Bord gegangen sein.

Zweifellos ist es wichtig, das Wattenmeer als "besonders empfindliches Meeresgebiet" auszuweisen, aber die Bremser werden mit Dir an einem Tisch sitzen, der "Umwelt"minister Jüttner (SPD) aus Niedersachsen hat schon
seine Bedenken öffentlich formuliert: Einschränkungen für die Schifffahrt und
die Häfen darf es nicht geben...

Es werden also wieder viele Pelze gewaschen werden, ohne dass irgend befürchten muss, nass gemacht zu werden.

"Außer Spesen nichts gewesen", auch Du wirst Dich daran messen lassen müssen, ob Dein Auftritt in Esbjerg tatsächlich den Wattenschutz nach vorne bringt (und da wäre die oben erwähnte Vergangensheitsbewältigung auch ganz hilfreich), oder ob nur wieder einmal Fensterreden gehalten werden. Wir werden sehen....

Mit freundlichem Gruß von der Küste

Manfred Knake
in der Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland
D-26427 Esens-Holtgast/Ostfriesland
wka@manfred-knake.de


Jan-Henrik Horn
Im Vorstand von Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachen

Moin Jan-Henrik,

ich habe das Info-Paket: Ökotourismus- "Natur- hautnah" der Bündnisgrünen im Landtag Niedersachsen vom 10.1.2002 in den Händen. Ich wundere mich ja nun seit Jahren überhaupt über nichts mehr, was von den Grünen in Sachen Naturschutz (und bewaffnete Konflikte) kommt und habe wohl den richtigen Instinkt gehabt, als ich Mitte der 8oer bei den Grünen austrat. Nun wollt ihr in Niedersachsen wieder mit an die Regierung, wie ich es in der Zeitung las. Von wem wollt ihr eigentlich gewählt werden?

Zum o.a.Papier: "Tourismus und Naturschutz dürfen heute nicht mehr als unvereinbar betrachtet werden", so jedenfalls ein Satz im Papier.

Doch, sie sind es nach wie vor, und auch die Mona Lisa im Louvre ist durch dickes Panzerglas vor ihren Liebhabern geschützt, da darf auch nicht jeder drauf rummalen.

Aber mit grüner Hilfe soll das in der Natur wohl gehen. Wer die Natur "hautnah" erleben will, rückt ihr so dicht auf die Pelle, dass es nichts mehr zu erleben gibt. Das kann jeder sehen, der im Deichvorland "hautnah" Vögel sehen will: Die machen sich aus dem Staube, und zwar ganz schnell, wenn erlebnishungrige outdoor-fans ihnen zu nahe rücken. Aber das sind eigentlich Binsenwahrheiten, die jeder, der draußen still und leise zugucken will, kennt. Aber um still und leise geht es wohl auch nicht mehr.

Wer die horrenden Übernachtungszahlen an der Küste und im Harz kennt, wer die massiven dadurch verursachten Störungen in den Schutzgebieten mitbekommt und nun erlebt, wie ausgerechnet die Grünen (mit Hilfe der Umweltverbände, die früher mal Naturschutzverbände hießen) auf diesen Tourismus noch einen "Ökotourismus" aufpfropfen wollen, kann diesem Papier nichts abgewinnen. Ich weiß, wovon ich rede, ich bin seit fast 18 Jahren Landschaftwart im Nationalpark Nieders. Wattenmeer und den angrenzenden Gebieten.

Wenn ich in der Rede von Dorothea Steiner lese, dass wir eine wirksame und vernünftige Steuerung, die die Anforderung von Naturschutz und Tourismus berücksichtigt, brauchen, ist das sicher richtig. Aber nicht dadurch, das nun das Paddeln, Klettern oder das Mountain-Biking in solchen Gebieten propagiert wird. Steuerung heißt auch Überwachung und Kontrolle, also Ranger in Schutzgebieten, die hoheitliche Kompetenzen haben und vernünftig bezahlt werden. Bezahlen könnte man das aus einem Übernachtungsgroschen, den jeder Tourist dafür abzuzweigen hätte, und begreiflich machen könnte man das auch. Aber dann kommt wieder das Argument der Branche, den Touristen nicht gängeln zu wollen; im Urlaub wird eben die totale Freiheit, die es nicht gibt, verkauft. Und dann kommt auch wieder der "Überwachungsstaat", wie ich auch schon von Grünen in völliger Verkennung des real abgehenden Tourismus in Schutzgebieten gehört habe.

Wer für Bomben auf unschuldige Menschen in Afghanistan stimmt, um seine Pfründe zu erhalten, sollte doch in solchen Kleinigkeiten des Naturschutzes großzügig verfahren und sich zumindest einmal die alten Protokolle dazu durchlesen und sich mit der Materie beschäftigen! (Ich unterstelle Dir nicht, dass zu der eben erwähnten Gruppe gehörst.)

Z.B. vor zehn Jahren in Wilhelmshaven auf dem 12. internationalen Wattenmeertag des WWF zu "Ranger in Schutzgebieten"; das warst Du sogar dabei! Das Thema wurde damals breit, auch in der Presse, diskutiert. Die Sau, die wir damals gemeinsam für eine dringend notwendige Sache durchs Dorf jagten, ist aber wohl längst tot und auch bei den Naturschutzverbänden, die damals mitgetrieben haben, völlig vergessen.

Die Tourismusindustrie hat alle Ziele der Naturschutzverbände aufgefressen und scheißt sie jetzt dünnflüssig als "Öko" wieder aus, merkt eigentlich niemand den Geruch?

Mir sagte einmal Michel Golibrzuch, der im Landtag für die Grünen sitzt, dass in der niedersächsischen Landtagsfraktion niemand sei, der sich im Naturschutz auskenne. Genau so ist es. Genau das entnehme ich dem Ökotourismus-Papier der Landtagsgrünen.

Ich empfehle dringlichst den Schredder, um weitere Peinlichkeiten zu ersparen.

Gruß

M.

Manfred Knake; D-26427 Esens-Holtgast/Ostfriesland