Allgemeine Zeitung Alzey, 21.9.1999
"Polarisierung zwischen Hochborn und Biblis"
"Wildwuchs“ der Windkraftanlagen im Dorfgemeinschaftshaus in Hochborn
diskutiert / Alle kamen zu Wort
Von unserer Mitarbeiterin HEIKE BENETTI
HOCHBORN/RHEINHESSEN – Befürworter und Gegner von Windkrafträdern trafen
sich im Hochborner Dorfgemeinschaftshaus zur Diskussion. In der kontrovers,
aber sachlich geführten Gesprächsrunde kamen Experten zum Thema, betroffene
Anwohner und Interessierte zu Wort.
Propst Hermann Petersen hatte zur Fragestellung "Wieviele Windräder verträgt
Rheinhessen?" der Projektgruppe "Wirtschafts- und Sozialraum Rheinhessen
- Kirchliche Präsenz und Betroffenheit" nach Hochborn eingeladen, in dessen
Umgebung der derzeit größte "Windpark" Rheinhessens steht. Diplom-
Ingenieur Matthias Bockholt vom Wiesbadener Planungsbüro "ABO Wind"
rechnete den Teilnehmern vor, dass die rheinhessischen Windräder derzeit mehr
als 56 Millionen Kilowattstunden im Jahr produzieren. Mit dieser ohne Belastung
der Umwelt durch Stick-, Schwefel- und Kohlendioxide entstandenen Strommenge
könnten theoretisch vier Städte in der Größe Alzeys versorgt werden.
Lothar Heitz, Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) Alzey sprach hingegen
von einer "Ausartung" der Windkrafträder mit Auswirkungen auf Landschaftsbild
und Tierwelt. So seien Flugrouten und Brutplätze von Vögeln gefährdet. Heitz
gab zu bedenken, dass nach dem derzeitigen Stand der Technik wegen der fehlenden
Möglichkeit an Speicherung der Windenergie noch kein einziges Kraftwerk abgeschaltet
werden könne. Das Interesse der Planer und Betreiber von Windkrafträdern läge
eher in der eigenen Gewinnmaximierung als in der Schonung der Umwelt.
Dieter Gräfenstein von der Unteren Landschaftsschutzbehörde des Landkreises
Alzey-Worms beantwortete die Fragestellung ambivalent. Einerseits sei die Stromerzeugung
durch die Windkraft in Rheinhessen überraschend erfolgreich und der Wind müsse
dort "geerntet" werden, wo er anfällt. Andererseits müsse einem "Wildwuchs"
der Windräder Einhalt geboten und ein Ausgleich in der Natur, etwa durch Neuanpflanzungen
von Sträuchern und Bäumen, geschaffen werden.
Pfarrer Dr. Thomas Posern achtete als Moderator darauf, dass bei der
Diskussion die Wortmeldungen aller Teilnehmer beachtet wurden. Ein Anwohner
brachte die rasante Veränderung der Landschaft durch die Windkrafträder auf den
Punkt. Erst habe man die innovative Technik mit Interesse bestaunt, jetzt suche
man in der Landschaft fast schon vergeblich nach unverbauter Natur, denn die
Krafträder seien durch ihre exponierte Stellung auf den Hügeln sehr dominant
geworden.
Nach einem Plädoyer für die Kernkraft seitens eines Besuchers konterte
ein anderer Gast mit der Aussage, die Fragestellung hieße für ihn nicht "Wieviele
Windräder verträgt Rheinhessen", sondern vielmehr "wieviele Biblisse?",
was das Auditorium ebenso wie die Aussage Bockholts, die Windkraft sei eine
saubere Zukunftsperspektive, mit Applaus quittierte. Bockholt wies zudem auf
die Möglichkeit hin, durch einfache Maßnahmen, wie etwa den Einsatz von Energiesparlampen,
den Stromverbrauch erheblich senken zu können.
Wie Propst Hermann Petersen nach dem zweistündigen Wortgefecht summierte,
wurden in Hochborn die Brennpunkte des Streits aufgezeigt. Im
Gesellschaftssystem solle eine Balance von Gewinn und Verlust angestrebt werden,
so Petersen.